Die Achse des Bösen?

Sönke Paulsen, Berlin

Heute, ein Jahr nach dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, steht die westliche Öffentlichkeit immernoch unter Schock. Inzwischen denken Viele, dass wir uns mit der Nato in einem Krieg gegen die Diktaturen des Ostens befinden. Der Kreml gibt dabei ein gutes und traditionsreiches Feindbild ab. Doch Vorsicht!

Eigentlich ist China noch wesentlich gefährlicher für den Westen, als Russland in der derzeitigen Situation. Wenn heute die EU Spitze zusammen mit einer französischen Delegation, angeführt von Emanuel Macron, in China Einfluss nehmen möchte, ist das nachvollziehbar. Diese Reise berührt unsere existentiellen Interessen. In China leben mehr Menschen, als in Nord- und Südamerika zusammen und etwa doppelt so viele, wie in Europa. Die Zahl wiegt schwer. Es sind 1,5 Milliarden Chinesen, die sich derzeit auf dem Wachstumspfad befinden. Bei einem pro-Kopf-BIP von nur 12000 US-Dollar, gibt es auf dem chinesischen Markt noch viel Luft nach oben!

Auf der anderen Seite steht ein Regime, das seine Bevölkerung mit Angst und Schrecken regiert. Die kommunistische Partei baut seit Mao auf ein System der totalitären und totalen Kontrolle jedes Einzelnen, welches inzwischen weitgehend digitalisiert ist. Totale Kontrolle und Repression mittels Internet! China ist seit der „Kulturrevolution“ das Land der zehntausend Straflager, in denen immer noch Menschen gefangen und gefoltert werden. Die Millionen Insassen dieser Lager sollen dort durch Arbeit „reformiert“ werden. Ein bekannter Euphemismus für die Idee des KZs.

Besonders schlimm hat es die Uiguren im Westen des Landes getroffen. Mindestens eine Millionen von ihnen sitzen in solchen Straflagern rund um die Taklamakan-Wüste. Deutsche Unternehmen, wie Siemens, haben geholfen, die Überwachungssysteme dieser Lager effektiv zu machen. Eine Tatsache, die für Empörung sorgte und von dem deutschen Konzern immer noch verharmlost wird.

Allerdings lassen sich viele große Technologie-Konzerne von der Hoffnung auf den chinesischen Markt verführen. Auch Google hat Anläufe genommen, seine Suchmaschine chinatauglich zu machen, was so viel bedeutet, wie eine Überwachungssoftware zu integrieren, welche das Surfverhalten der Chinesen nach politischen Kriterien ausspähen und dann an die chinesischen Behörden weiterleiten kann.  Inzwischen hat man bei Alphabet die unerträgliche Anbiederung an den chinesischen Totalitarismus eingesehen und alle Bemühungen in dieser Richtung eingestellt. Gottseidank!

Denn, wenn Wladimir Putin der Teufel ist, dann ist Xi Jin Ping in Peking, die Mutter des Teufels. Weiter weg von humanen Werten befindet sich nur noch der nordkoreanische Despot.

Gegen Putins Russland mit Sanktionen vorzugehen war und ist vergleichsweise einfach. Gegen Xi´s China lässt sich wirtschaftlich kaum noch vorgehen. Zu groß sind die wechselseitigen Abhängigkeiten, wie gerade eine Autorin in der „Welt“ sehr nachvollziehbar geschrieben hat. Dabei geht es nicht nur um China als Exportmarkt, sondern auch um die Abhängigkeit von chinesischen Importen. Stichwort Chips. Viele Vorprodukte, auch für den technologischen Wandel, werden derzeit in China hergestellt.

Das Kalkül: Demokratie durch Wohlstand , ist gescheitert

Die Idee, durch Verbreitung von Wohlstand, elegant durch die extremen Gegensätze der Systeme hindurch zu segeln, ohne in Konfrontationen zu geraten, hat sich aber erledigt. Sowohl China, als auch Russland sind auf dem Konfrontationskurs zu den westlichen Werten. Man kann fast sagen, sie haben uns den Krieg erklärt.

Sowohl die KP Chinas, als auch der Machtapparat im Kreml, der sich auf reich gewordene Ex-KGBler stützt, sehen in demokratischen Verhältnissen eine massive Bedrohung und gehen zum Gegenangriff über. Die Restauration der alten Machtstrukturen ist dabei im vollen Gange.

Wir können im Grunde nur ohnmächtig zuschauen, wenn sich Putin und Xi auf alte Stereotype zurückziehen und massive Propaganda gegen unsere Werte betreiben, weil das dem Machterhalt beider Diktatoren geschuldet ist.

Auch wenn die USA, zu Recht, den Zugang der Chinesen zur ihren Märkten erschwert haben, heißt das noch nicht, dass die Chinesen sich von der EU jetzt einhegen lassen. Xi wird seinen unnachgiebigen Kurs gegenüber dem Westen fortsetzen, den er im Inneren mit nationaler Selbstbehauptung begründet. Genau wie Putin, nur effektiver.

Vermutlich werden auch wir den amerikanischen Kurs übernehmen und China aus unserer Wirtschaft weitestgehend aussperren müssen. Harte Zeiten stehen uns bevor. Allein Deutschland hat ein Handelsvolumen mit China, das fast eine Viertel Billion Euro ausmacht oder knapp zehn Prozent unseres gesamten Handelsvolumens. Experten meinen, dass die EU nur wegen des starken chinesischen Marktes, nach der Corona Pandemie, nicht in die Rezession gerutscht ist. Fast ein Zynismus der Weltgeschichte, denn die Pandemie kam bekanntlich aus China.

Die Annahme, dass Wohlstand Demokratie nicht fördert, ist auch nicht richtig

Wohlstand führt also, wie wir in China sehen, nicht zu mehr Demokratie. Die Repressionen gegen die Bevölkerung haben eher zugenommen. Die umgekehrte Annahme, dass steigender Wohlstand keinen Einfluss auf die Demokratieentwicklung hat, stimmt allerdings auch nicht.

Sowohl in Russland, als auch in China gibt es eine aufstrebende Mittelklasse, die sehr wohl an mehr Demokratie interessiert ist. In China hat sich das in den letzten Jahren mit der Zunahme von Menschenrechtsbewegungen im Land gezeigt. Zuletzt gab es im Dezember letzten Jahres den „Protest der weißen Blätter“ gegen die harschen Corona-Maßnahmen des Regimes. In Peking gingen Tausende auf die Straße.

Einheitliche Strategie fehlt

Dennoch fällt es uns schwer, eine einheitliche Strategie gegen die aufsteigenden Diktaturen des Ostens zu finden. Es hat dabei ganz den Anschein, dass die Konfrontation und ein „harter Kurs“ gegen Russland und China zur Machtstabilisierung sowohl in Moskau, als auch in Peking führen. 

Ohne die faktische Eindämmungspolitik gegen Russland würde Putin die Karte der nationalen Bedrohung durch die Nato nicht so erfolgreich im Inneren ausspielen können. Die faktische Kontraktion der russischen Gesellschaft als paranoide Reaktion auf das Überschwappen der westlichen Kultur nach Osten, würde vielleicht nicht so heftig ausfallen, wenn östliche EU-Staaten nicht automatisch in der Nato landen würden. Der harte Kurs, der da gefahren wurde, hat Putin vielleicht erst zum Diktator werden lassen?

Provokante Thesen – gewiss. Nur die Alternative, die Eindämmungspolitik gegenüber den postkommunistischen Diktaturen scheint nicht recht zu funktionieren. Letztlich können China und Russland nur von innen heraus zur Demokratie finden. Ein wichtiger Motor ist, trotz aller Zweifel, der Wohlstand.

Wir sollten keine Zweifel daran lassen, dass die östlichen Diktaturen sich auf gefährlichen Abwegen befinden, aber die Kooperation, auch die wirtschaftlichen Kooperationen mit ihnen beibehalten. Wenn auch mit Augenmaß.

  • Dual-Use-Produkte, die den militärischen Fortschritt Chinas und Russlands fördern, haben, genau wie ihre Vorprodukte, im Handel mit Diktaturen nichts zu suchen.
  • Überwachungstechnologie, die gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt wird, muss sanktioniert werden.
  • Marktzugang im Westen kann es in strategischen Bereichen der Sicherheit und der wirtschaftlichen Schlüsselbranchen nur eingeschränkt geben.
  • Eine Rohstoffabhängigkeit von Russland, das hat sich jetzt gezeigt, ist genauso schädlich, wie eine Chip-Abhängigkeit von China.

Im Übrigen aber sollte der Handel fortgesetzt und Sanktionen auf ein Minimum begrenzt werden. Denn vermutlich ist die beste Methode, gegen die Unrechtsregime in China und Russland vorzugehen, ihnen zu Wohlstand zu verhelfen. Dafür braucht man einen langen Atem und sollte nicht auf Wunder hoffen.

spaulsen

One Comment

  1. Herr Paulsen schreiben sie doch Tacheles. Wir, die westlichen Staaten wollen und brauchen auch den Handel mit Russland und China. Alles andere ist Utopie. Was wir brauchen ist aber eine Art westlicher Autarkie. Wir dürfen zB nicht abhängig sein bei Medikamenten, Lebensmittel, Rohstoffen und Energie. Wir müssen auch immer kriegsfähig sein. Und wir müssen endlich aufhören Atom- und Weltraummächten den Entwicklungshilfestatus zu gewähren. Keinerlei Subventionen, keine Handelsprivilegien und strenge Qualitätskontrollen bzgl. der zu importierenden Güter. Das ist das Minimum; es gibt sicherlich deutlich mehr, das hier aufgezählt werden könnte und müsste.

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