Position der Stärke

Sönke Paulsen, Berlin

Wie oft haben wir schon gehört, dass die Verhandlungen von der Ukraine nur aus einer Position der Stärke heraus geführt werden können. Tatsächlich schließt eine Position der Stärke Verhandlungen aus, von beiden Seiten.

Selensky wird nicht müde zu beteuern, dass die Ukrainer die Denkweise der Russen besser kennen würden, als der Westen. Auch wenn man das glauben will, nützt es nichts. Denn der unbedingte Siegeswille auf einer Seite reicht vollkommen aus, Friedensverhandlungen unmöglich zu machen.

Wir sollten uns nicht angewöhnen, wie Russen und Ukrainer zu denken, denn dann wird tatsächlich bis zur totalen Niederlage einer der Kriegsparteien weitergekämpft. Das dürfte dann, wenn es so kommt, die Ukraine sein.

Was also hilft es Selensky zu behaupten, dass der Westen Russland zum Frieden zwingen müsse, wenn Putin sich sicher sein kann, dass Russland von der Ukraine nicht in die Knie gezwungen werden kann. Welchen Zwang sollte der Westen ausüben?

Es sieht viel mehr so aus, dass wir den Russen und Ukrainern dabei zusehen können, wie sie sich Tag für Tag gegenseitig schwächen und peut a peut entwaffnen. Das ist vermutlich so lange erforderlich, bis einer aufgibt oder beide Parteien gezwungen sind, sich in einem Stellungskrieg voreinander zu verschanzen. Ein Art von Patt also.

Verhandlungen dagegen wären ja nur möglich, wenn beide Seiten zu einer echten Vernunft fähig sind und nicht die Suche nach der Position der Stärke zur Diplomatie erklären. Das ist eine Politik die zu zwei Weltkriegen geführt und allein Russland zwanzig Millionen Tote gekostet hat.

Wie auch immer.

Die Ukraine ist nicht Tschetschenien. Sie ist das flächenmäßig größte Land in Europa und war in der Sowjetzeit der Technologieführer des Ostblocks. Die Ukraine hat diesen Krieg stärker geprägt als Russland, weil sie den Drohnenkrieg praktisch aus der Taufe gehoben hat. Jetzt ziehen die Russen nach und machen mit ihren Glasfaserdrohnen den Ukrainern an der Front das Überleben zur Hölle. Die Ukrainer aber werden sich immer neue Methoden einfallen lassen, die Russen in Schach zu halten.

Das ist die Logik dieses Krieges und die Logik der Position der Stärke, die diesen Krieg aufrecht erhält. Es hat nichts mit menschlicher Vernunft im allgemeinen Sinne zu tun und der eigentliche Kriegsgrund, die USA im Osten zurückzudrängen ist mit Donald Trump endgültig zu einer Farce geworden. Am besten zeigt das die geänderte Windrichtung der russischen Propaganda, die nun Deutschland im Visir hat. Deutschland zum Feind der Russen zu erkären, ist aber so absurd, dass selbst die schlimmsten Hardliner in Moskau es nicht glauben. Aber die Bevölkerung wird weiterhin auf den neuen Kriegsgegner und auf „Hitler Kaputt“ eingeschworen, so als würde man die Nazis in Deutschland ein zweites Mal besiegen müssen.

Je weiter man sich in diese Kriegslogik hineindenkt, desto mehr wird die Position der Stärke zu einer Position des Schwachsinns.

Aber dieser Schwachsinn wird weitergehen. Selbst wenn Russland wirtschaftlich angeschlagen ist, kann dem Regime das nur recht sein. Denn Putin hält sich nicht trotz, sondern wegen des Krieges an der Macht, weil die Russen einen Weg zurück in den Frieden nur mit einem Sieg akzeptieren. Zu schwer wäre der Gesichtsverlust bei einem echten Verhandlungsfrieden.

Ein angenehmer Nebeneffekt für die russische Elite ist das Einfrieren der Demokratieansprüche, die in Russland quasi von der Bildfläche verschwunden sind, was dem mafiösen System in Moskau die Herrschaft sichert. Es gibt also auch nach Innen in Russland nicht den geringsten Grund diesen Krieg zu verändern. Zumindest solange nicht, wie die Russen nicht in die militärische Defensive gezwungen werden können.

Ob das jemals der Fall sein wird?

Es gibt Anzeichen dafür. Die Vorstöße der Russen in der Region Donezk haben inzwischen etwas Improvisiertes. Es wird mit schnellen Motorrädern angegriffen und vieler Orts fehlt dann die Konsolidierung der besetzten Stellungen mit schwerem Gerät. Das geht nur so lange gut, wie die Ukrainer selbst keine ausreichende Man-Power haben, um die wenigen eingesickerten Russen wieder zu verjagen. Besonders auffällig ist das bei den neueren Vorstößen in das Gebiet Dniepopetrowsk. Auf annähernd freiem Feld haben sich die Ukrainer gar nicht erst richtig eingraben können. Aber die Russen müssen sich dort gegen die täglich anfliegenden Drohnen und gegen „Kill-Kommandos“ der Ukrainer wehren. Von einer stabilen Front, welche die Russen aufgebaut hätten, kann nicht die Rede sein.

Auch hier ist die Frage, wie viel Psychologie dabei ist, wenn ein paar Soldaten ein paar Felder einnehmen von denen sie bei einer Massierung der Ukrainer sofort wieder vertrieben werden können. Ist das eine echte Position der Stärke oder wird etwas vorgegaukelt?

Zumindest scheint die russische Armee für die so genannten Fleischangriffe, die Horden angreifender Russen und ein Überrennen ukrainischer Stellungen mit schierer Masse suggerieren sollen, keine Leute mehr zu haben. Auch das ist ein Zeichen.

Position der Stärke? Nein, Position des Schwachsinns.

spaulsen

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