Hat Lukaschenko sich verzockt?

Sönke Paulsen, Berlin

Dier erzwungene Landung der Ryan Air Maschine in Minsk und die Verhaftung des oppositionellen Bloggers Roman Prostasewitsch wirft Fragen auf, die abseits der verständlichen Empörung des Westens beantwortet werden wollen.

Wir erinnern uns an den Herbst 2019 als sich der russische Präsident Lukaschenko wiederwählen ließ und ihm niemand glaubte, dass er die Wahl gewonnen hatte. Besonders das eigene Volk glaubte ihm nicht und ging auf die Straße, monatelang.

Die Proteste hielten, mit zehntausenden Teilnehmern, bis weit in das Jahr 2020 an und wurden, zumindest verbal und logistisch, von Westeuropa und Polen unterstützt.

Lukaschenko witterte eine zweite Ukraine in seinem Land und alarmierte Putin. Der stärkte dem belarussischen Präsidenten mehr halbherzig den Rücken, was bei Lukaschenko den Reflex eines Diktators erzeugte, nun seinen gesamten Sicherheitsapparat gegen die Opposition auf Hochtouren zu bringen, um den Protesten des eigenen Volkes ein nachhaltiges Ende zu setzten. Die Verhaftungen nahmen zu, Oppositionelle wurden EU-weit zur Zielscheibe des KGB von Belarus.

Soweit die Ausgangsposition.

Angeblich habe eine E-Mail mit einer Bombendrohung dann den internationalen Zwischenfall mit der Ryanair-Maschine ausgelöst. Sie soll von der Hamas stammen und vom KGB abgefangen worden sein. In diesem Falle wäre Prostasewitsch für Lukaschenko quasi der „Beifang“ bei einem verhinderten Bombenanschlag gewesen.

Allein die Geschichte ist wenig glaubwürdig. Ein Hamas-Sprecher wies diese E-Mail als absurd zurück und der besagte Telekommunikationsanbieter mit Sitz in Genf, über den die Mail gelaufen sein soll, weiß von nichts.

Was ist da aus dem Ruder gelaufen? Oder wäre Lukaschenko tatsächlich so verrückt, wegen eines Bloggers einen internationalen Zwischenfall mit Sanktionsfolgen zu riskieren?

Das Muster, den Westen zu provozieren und damit irgendwie durchzukommen, hat der Kreml ihm zumindest vorgegeben. Die zahlreichen Morde an Oppositionellen und Geheimdienstlern im Westen und zuletzt der Fall Nawalny haben Russland Recht gegeben, dass ernsthafte Sanktionen des Westens ausbleiben.

Der Effekt ist der, dass Putin im eigenen Land an Macht und Ansehen gewonnen hat, weil er die Zahnlosigkeit der westlichen „Partner“ demonstriert hat. Die internationalen Zwischenfälle haben Russland wenigstens nicht geschadet und das Land demonstriert derzeit an der ukrainischen Grenze sein Drohpotential.

Für Lukaschenko hätte es ja auch so laufen können. Er zwingt das Flugzeug über seinem Luftraum zur Landung und demonstriert dabei seine Härte mit einer MIG. Dann lässt er es wieder aufsteigen, ohne einen Oppositionellen, und behauptet einen Hinweis auf einen Terroranschlag gehabt zu haben.

Genauso hat er es ja auch gemacht. Nur es hat ihm keiner geglaubt.

In der russischen Welt, werden Lügen der Mächtigen zwar nicht geglaubt, aber auch nicht in Frage gestellt. Im Westen müssen sie immer noch geglaubt werden, um durchzugehen.

Lukaschenko könnte also einen Fehler gemacht haben, der auf sein Bezugssystem zurückgeht und das westliche Bezugssystem außer Acht lässt. Dabei könnte er seine eigene Machtposition im Pokerspiel zwischen Russland und der EU maßlos überschätzt haben.

Das ist nun vermutlich sein Dilemma, unter dem die Belarussen in Zukunft zu leiden haben. Denn sie reisen gern nach Westeuropa und holen sich dort ihr Geld und ihre Impulse. Die EU-Sanktionen werden das voraussichtlich stark behindern.

Blöder Fehler, große Folgen, wie im richtigen Leben.

spaulsen

3 Comments

  1. Ob Luka sich so sehr verkalkuliert hat? Wie war das nochmals in Wien… , da soll ein Staatsfeind in einer Maschine gesessen haben. Assange, der Kämpfer ohne Furcht und Tadel. Nur mit offiziellen und geheimen Papieren aktiv. How dare you to forget it. Das Überflugrecht ist so weit gefasst, dass praktisch alles genutzt werden kann, um einen Flug umzuleiten und dann das Flugzeug, Gepäck und Insassen zu filzen. Und Wien ist der Grund, weshalb alles kurzfristig wieder zu den Akten gelegt werden wird. Wer im Glashaus sitzt sollte nicht mit Steinen werfen.

  2. Also ich selbst verurteile die Umleitung des Morales-Fluges und das Filzen das Flugzeuges in Wien, weil man dachte, Snowden sitzt drin, genauso. Ich war auch genauso empört. Was nun? Sollen wir das Schlechte das Schechte rechtfertigen lassen??? Das ergäbe eine weitere Abwärtsspirale. Wo sich Russland und Belarus und der Westen in eine Konkurrenz um die größere moralische Verkommenheit begeben. Nicht mein Ziel.

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