Sönke Paulsen, Berlin
Kamala Harris könnte als erste Präsidentin in das Weiße Haus einziehen.
Unwahrscheinlich?
Vielleicht. Der Start für die amerikanischen Vize-Präsidentin war schwierig. Sie hat vehement ihren Präsidenten Joe Biden verteidigt und sich wie eine brave Ziehtochter verhalten.
Aber kennen wir das nicht?
Angela Merkel galt bis zu ihrer Kanzlerwahl und fast die gesamte erste Legislaturperiode ihrer Kanzlerschaft, als „Kohls Mädchen“. Niemand nahm sie ernst. Auch Gerhard Schröder nicht, dem sie mit nur vier Sitzen Vorsprung im Bundestag die Macht entriss.
Man kann sich noch erinnern, wie sie als Notlösung nach dem Spendenskandal in den CDU-Vorsitz kam. Witze wurden über sie gerissen und es gab jede Menge Fotomontagen, die ihre „mangelnde Attraktivität“ aufs Korn nahmen. Bei der ersten Kandidatenkür für die Wahl 2003 musste sie sich Edmund Stoiber geschlagen geben. Sie galt als politisch wenig beschlagen und manche hielten sie für dumm. Auch der Medienkanzler dachte, er hätte leichtes Spiel mit ihr. Bis sie hauchdünn gegen Schröder gewann.
Parallelen zwischen Harris und Merkel, Trump und Schröder zufällig oder gar nicht erkennbar?
Harris hat im Unterschied zu Merkel eine recht profunde Parteikarriere hinter sich und ist immerhin schon Vizpräsidentin. Die Team-Leistung der Regierung Biden kann sich sehen lassen. Gegen alle Widerstände wurden die USA sowohl gegen Russland, als auch gegen China auf Kurs gehalten. Innenpolitisch mag nicht so viel geglückt sein, das können die Amerikaner entscheiden. Aber wir Europäer haben von einer besonnenen Biden-Regierung profitiert, deren wichtigste Manager, Kamala Harris war. Vielleicht erkennen die Amerikaner das ja auch an?
Trumps Vorteil ist, dass viele Amerikaner nicht außenpolitisch denken und hier auch nicht sonderlich interessiert sind. Das könnte ihm die Präsidentschaft einfahren. Aber die Amerikaner wollen auch keinen Präsidenten von Russlands Gnaden wählen und dieser Geruch haftet Donald Trump nunmal an. Putin ist die schlechteste, denkbare PR für den Liebling der Diktatoren.
Harris dagegen hat, im Unterschied zur gescheiterten Hilary Clinton, die Sympathien von Amerikanern mittelamerikanischer, afroamerikanischer und asiatischer Herkunft. Alle diese Volksgruppen kann sie mit ihrer besonderen Biografie repräsentieren und vertritt das auch ziemlich glaubwürdig. Das sind verdammt viele Wähler.
Auch die weiße Bildungsschicht wird Harris wählen und so ziemlich alle, die Trump wegen seiner Russland-Connections nicht über den Weg trauen. In einer so polarisierten Welt, spielt das eine große Rolle.
Warten wir also ab, wie der Wahlkampf wird.
Ich persönlich gebe Kamala Harris eine reele Chance.