NEU: Marc Brand – Grigoris Frauen (Romanauszug)

Auszug aus der Geschichte – Grigoris Frauen, die bei Epubli erschienen ist.

Kapitel 1
Maggys Grundstück in der Ingleby-Road 37 zeigt schon die ersten Zeichen des Herbstes. Die Sträucher, welche den hübschen Holzzaun deutlich überragen, verfärben sich langsam und beginnen in Gelbtönen zu leuchten. Daneben steht ein großer Ahorn, der aber nicht mehr zu ihrem Grundstück gehört. Er beschattet von der Straße aus die Veranda des Hauses. Ein Umstand, der Maggy im Sommer erfreut, im Herbst aber ärgert, weil die Blätter auf das Dach des kleinen Vorderhauses fallen.
Samstags zumindest wird das Glasdach der Veranda gewaschen, mit Gartenschlauch und Teleskopbürste. John, eine hagerer Mitfünfziger steht heute auf einer kleinen Leiter und versucht das Dach sauber zu spritzen. Er stöhnt dabei und reibt sich den Rücken. Die angespannte Haltung auf der Leiter scheint ihm nicht gut zu tun.
„Nur zu“, ruft Maggy, „bald haben Sie es geschafft, John“. John grinst gequält. „Ja, Ma´am, nur noch die Ecke dort“.
Maggy grinst zufrieden und geht zu Brand, der mit einer Heckenschere einen Strauch in Form bringt. „Sehr schön, mein Lieber“, ruft sie ihrem
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Lieblingsbewohner zu und schenkt ihm ein glückliches Lächeln. Brand lächelt zurück. „Danke, es klappt ganz gut“. „Sieht man“, ruft sie, „kommen Sie zur Kaffeepause“!
Es ist zehn Uhr morgens an diesem sonnigen Samstag und alle sehen zufrieden aus. Für die „Gartenarbeiter“ aus der Pension hat Maggy in der Veranda ein zweites Frühstück aufgebaut. Es gibt Rühreier mit Speck und verschiedene Brotarten. Dazu reichlich Kaffee und Orangensaft.
Brand freut sich über diese Zwischenmahlzeit. Sie haben am Morgen gegen sieben Uhr mit der Arbeit begonnen und zuvor nur einen Teller Porridge gegessen. Diese Ration hat sein Körper längst verwertet und sein knurrender Magen war zuletzt nicht zu überhören.
Maggy hält eine große Tasse Tee in den Händen und setzt sich zu den Männern, die bei ihr wohnen und zugleich für sie arbeiten. „Die beste Therapie“, sagt sie, „ist körperliche Arbeit“. Die Männer grinsen sie ein wenig ungläubig an. Brand weiß schon, was jetzt kommt. Maggy hebt erneut an. „Wenn man nämlich ein paar Stunden gearbeitet hat, freut man sich auf alles andere. Auf die Pause, das Essen und die Freizeit“, sagt sie mit einem gutmütigen Lächeln. John, der froh ist, nicht mehr auf die Leiter zu müssen, nickt dabei heftig. Die
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anderen essen genüsslich weiter. „Aber Ma´am“, sagt Benny, ein junger rothaariger Alkoholiker, der Maggy gern widerspricht, „Sie ziehen auch Ihren Nutzen daraus“!
„Benny“, lacht Maggy, „aus der Arbeit zieht immer einer den Nutzen, sonst wäre es ja keine Arbeit“. Benny zuckt kurz mit den Schultern. Er wirkt nicht sehr überzeugt, isst aber mit Vergnügen weiter.
„Ein Fall von doppelter Buchführung“, denkt Brand, „er hält nichts von der ganzen Sache, macht aber mit, weil es ihm eigentlich ganz gut dabei geht“.
Maggy schaut Brand kurz an und flüstert ihm zu. „Ich weiß was Sie denken Bräd. Er meckert wie eine Ziege, bleibt aber dabei. Das ist Therapie, mein Lieber“.
Brand nickt und lächelt. Er weiß, wie stolz Maggy darauf ist, dass sie diesen Laden voller Alkoholiker im Griff hat.
Am Nachmittag sitzt Brand auf seinem Zimmer und liest Emails. Grigori hat ihm geschrieben und möchte ihn am Sonntag, also Morgen, treffen. „Es gibt viel zu besprechen“. Der Ex KGB-Agent deutet aber nicht an, worum es geht, er ist vorsichtig mit jeder Art der Datenübermittlung, egal ob Telefon,
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Mobilnetz oder Internet. Brand weiß das und schreibt zurück, dass ein Spaziergang im Hyde-Park doch ganz nett wäre, gegen vierzehn Uhr. Grigori antwortet sofort und stimmt zu. Treffpunkt ist die „Peter Pan-Statue“ am „Long Water“, einem großen Teich der sich durch den Park schlängelt und deshalb auch „Serpentine“ genannt wird.
Am Sonntagmittag nimmt Brand den Bus nach Greys und steigt dort in den Zug zur West Ham Station. Es ist ein frischer und sonniger Tag im Frühherbst. Der Zug ist kaum besetzt. Brand hat einen ganzen Waggon für sich. Er setzt sich dennoch an die Tür und beobachtet diese. Eine alte Gewohnheit, immer auf dem Laufenden zu sein, wer den Zug besteigt und wer ihn verlässt. Auf der fast einstündigen Fahrt registriert er ein junges Paar mit Kinderwagen, eine ältere Dame mit Hund und einen Jungen, der sich ihm gegenüber setzt und beständig auf seinem Smartphone spielt. Allesamt unverdächtig.
In West Ham steigt der Agent in den Underground und nimmt den Zug nach Lancaster Gate, von wo es nur ein paar Schritte in den Hyde Park zum verabredeten Treffpunkt sind. Der Park ist voll. Brand muss mehreren Joggern ausweichen, die in einer kleinen Gruppe auf ihn zulaufen und ihn vom Weg abdrängen. Der Agent flucht leise und bringt sich auf einer Bank unterhalb der Peter Pan
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Statue in Sicherheit. Sie liegt etwas abseits des Weges am Wasser und verspricht eine gewisse Ruhe vor Joggern und Spaziergängern. Eine Weile wartet er schon, als Grigori sich nähert. Sein kasachischer Freund begrüßt ihn mit einem gequälten Grinsen und lässt sich erschöpft auf die Parkbank fallen. Brand schaut ihn an. Grigori dürfte in den letzten Wochen, seit er ihn zuletzt gesehen hat, einige Kilo verloren haben. Sein Gesicht wirkt schmaler und die Leibesfülle deutlich reduziert, was seinem Aussehen durchaus gut tut.
„Du hast abgenommen“, sagt Brand anerkennend.
Grigori seufzt. „Ja“.
„Hast Du Sport getrieben“, fragt der Brite.
„Nein“, kommt es kurz, „ich hatte keinen Appetit“.
Brand lacht kurz auf. „Ich habe ständig Appetit“.
Grigori seufzt erneut. „Du hast auch nicht meine Probleme, Marc“.
„Welche denn“, fragt der Agent, „ich dachte, mit Dir und Deiner Familie ist alles geregelt“?
„Ist es auch“, antwortet Grigori, „aber es ist zu gut geregelt“.
Brand hebt die Augenbrauen und wartet auf eine Erklärung.
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„Es ist viel zu gut geregelt“, setzt Grigori fort, „Olga ist in London und sie lebt bei Alexandra und mir“.
Brand hebt die Augenbrauen noch ein wenig höher. „Das ist Dein Problem“, fragt er ungläubig.
Grigori nickt düster. „Ich halte es nicht aus“, sagt er gedrückt, „Olga, verstehst Du denn nicht. Olga ist ständig um mich herum und ich muss mich ständig beherrschen“.
Jetzt versteht der Agent das Dilemma seines Freundes. Sein russisches Blut ist für alles gut, aber nicht dafür, sich dauerhaft zu beherrschen. Grigori steckt tatsächlich in der Klemme.
„Erzähl mir von Olga“, meint er, „bist Du immer noch verliebt in sie“?
„Ich sehe ihren Schatten um die Ecke kommen und mein Herz beginnt zu stolpern. Ich bin verrückt nach ihr“!
Brand seufzt. „Was ist denn so besonders an ihr? Ich verstehe nicht richtig“.
„Mein Lieber“, antwortet Grigori, „ich kann es Dir sagen. Sie ist lieblich und herb zugleich. Sie hat ein große und scharf geschnittene Nase und ein kräftiges Kinn, aber ich möchte wissen, was sie hinter ihrer weich geschwungenen Stirn denkt. Sie hat einen Silberblick, schielt leicht, jedoch mit wunderschönen blauen Augen. Außerdem einen
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breiten Gang, nicht elegant, aber anrührend, wie ein Kind. Ihre Stimme ist warm und etwas nasal, dann wieder rau und sie spricht manchmal mit der Stimme eines Mädchens zu mir, hell und weich. Wenn ich mit ihr in einem Raum bin, fühle ich mich durchgehend verwirrt und von ihr angezogen. Sie hat Macht über mich und scheint das zu wissen. Aber sie nutzt ihre Macht nicht, wie es jede normale Frau tun würde. Sie hält sich zurück, so als würde sie auf etwas warten oder einfach nur nach dem Ausgang suchen, weil sie weg will“.
Grigori spricht schnell und hastig, als müsste er sich einen bösen Traum von der Seele reden und Brand hört ihm zu. Der britische Agent fühlt sich dabei deplatziert. Liebeskrankheiten sind eigentlich nicht sein Fach. Er kennt sich mit weiblichen Agenten aus, die ihre Reize nutzen, um an Informationen zu kommen, ihn in eine Falle zu locken oder einfach so zu verwirren, dass er zu einem leichten Opfer wird. Er hat alles schon einmal erlebt, aber die Sache mit Olga scheint anders zu sein. Sie scheint eine Frau mit einer sehr uneinheitlichen Persönlichkeit zu sein, gefährlich für Männer. Männer meinen in einer solchen Frau etwas zu entdecken, was in Wahrheit nur einen Bruchteil ihrer Persönlichkeit ausmacht. Die vorherrschenden Merkmale solcher Frauen sind meist schroff und abweisend. Aus gutem
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Grund, weil sie eigentlich nichts haben, womit sie in eine Beziehung gehen können. Sie sind zu divers, zu uneinheitlich.
„Ich glaube Du hast Dich verrannt, Grigori“, sagt Brand, „Du schätzt diese Olga völlig falsch ein“.
Grigori schaut Brand erstaunt an. „Aber ist es nicht Liebe“?
„Nein“, antwortet Brand entschlossen, „das glaube ich nicht. Es ist eher Faszination, weil solche verwirrenden Frauen tatsächlich etwas Einzigartiges haben. Sie sind aber meist nicht zu Beziehungen in der Lage“.
„Das mag stimmen“, antwortet Grigori, „Olga ist allein und sie scheint es zu bleiben“.
Brand nickt. „Sie ist vermutlich hin und hergerissen. Sie möchte eine Beziehung, kann aber nicht. Sie sucht intuitiv die Nähe zu funktionierenden Beziehungen, wie zwischen Dir und Alexandra und lehnt sie zugleich ab, weil es nicht ihre Beziehung ist. Am Ende ziehen sich solche Frauen zurück und werden Einzelgänger“.
Grigori schaut Brand erstaunt an. „Ich wundere mich über Deine Frauenkenntnisse, mein Lieber. Dir traut man das eigentlich nicht zu. Du wirkst immer so nüchtern und sachlich“, Grigori lacht
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kurz auf“ das passt eigentlich nicht zum weiblichen Geschlecht“.
Brand zuckt die Schultern. „Ich gehöre da auch nicht gerade zu den Gewinnern. Aber ich gebe die Hoffnung auch nicht auf“.
Grigori lacht befreit. „Jedenfalls hast Du mich gerade kuriert. Lass uns ein paar Schritte gehen“.
Während sie an einem lang gezogenen Gewässer entlang spazieren und dabei jungen Joggerinnen ausweichen, die nicht selten sehr attraktiv aussehen, berichtet Grigori seinem Freund von einem Mordanschlag auf einen Ex-KGB-Agenten, der sich ganz in der Nähe seiner Wohnung ereignet hat.
„Jetzt kommt es“, meint Grigori, „dieser Dimitrov, der liquidiert wurde, war ein guter Freund meines Schwiegervaters, der vor einigen Jahren bei einem Autounfall ums Leben kam. Ich habe mit meiner Frau darüber gesprochen. Sie war plötzlich ganz aufgeregt und schimpfte auf den Toten. Sie sagte, Dimitrov habe jahrelang Informationen über ihre Familie an den KGB weitergegeben. Mein Schwiegervater war ebenfalls im Bergbau investiert, Unternehmer der ersten Stunde, er hatte auch Anteile an Kazatoprom. Die Russen haben mehrfach versucht, das Unternehmen in die Finger zu bekommen“.
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Brand hört interessiert zu. „Und“, fragt er.
„Es ist unlogisch, fast schon ironisch, dass ausgerechnet Dimitrov dran glauben musste. Solche Anschläge werden hier überwiegend von den Russen verübt, aber der Ex-KGBler hatte bis zuletzt beste Verbindungen in den Kreml, wie ich erfahren habe. Warum haben sie ihn vergiftet“?
„Vielleicht waren sie es gar nicht, sondern jemand anderes“, wirft Brand ein.
„Vielleicht“, meint Grigori, „aber wer außer den Russen nutzt Novitschock für seine Aktionen“?
„War es wirklich Novitschock“, fragt Band nach.
„Ganz ohne Zweifel war es Novitschock. Unwohlsein, Halluzinationen, Krämpfe bis zur Bewusstlosigkeit und dann Atemstillstand innerhalb von Stunden“, antwortet Grigori.
„Vielleicht hängt es mit dem Krieg zusammen“, meint Brand, „seit dem Angriff auf die Ukraine brodelt es auch im Kreml. Es gibt Befürworter und Gegner. Vielleicht war Dimitrov ein Gegner des Angriffskrieges, vielleicht verfügte er sogar über brisante Informationen?“
„Vielleicht“, antwortet Grigori, „aber seltsam ist die Sache trotzdem. Die Russen machen so etwas hauptsächlich, wenn sie eine öffentliche
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Bestrafung inszenieren wollen. Das passt nicht zu dem Fall. Dimitrov war kein Verräter“.
Brand zuckt die Schultern.
Grigori setzt nach. „Die Frage ist, wer ihn bestrafen wollte“?
„Vielleicht hat jemand den Spies umgedreht und nimmt nun den KGB oder was davon übrig ist, mit seinen eigenen Methoden ins Visier“, mutmaßt Brand, während er sich nach einer besonders hübschen Joggerin umgedreht und ihren Anblick von hinten genießt.
Grigori bemerkt das. „Mein Junge, vielleicht solltest Du auch nicht mehr so lange allein bleiben“.
Brand zuckt die Schultern. „Ich bin ja nicht allein. Ich habe Maggy und die anderen in der Pension“.
Grigori schüttelt den Kopf. „Du hast Dich dort in Sicherheit gebracht, mein Lieber. In einer Pension für Alkoholiker. Aber das Leben wartet nicht“.
Brand grinst. „Auf mich muss das Leben noch eine Weile warten“, antwortet er, „ich bin noch nicht bereit, etwas neues anzufangen“.
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Kapitel 2
Olga steht in der Regel um acht Uhr morgens auf. Ihr erster Weg ist die Küche, in der sie meist in einem nachlässig zusammengebundenen Morgenmantel auftaucht. Ihr dunkles Haar ist noch nicht gekämmt und weist eine deutliche Naturkrause auf, die in allen Richtungen über ihre Schulter und ihren Busen fällt. Als erstes mustert sie den Inhalt des Kühlschrankes, dabei beginnt sie zu frösteln. Sie schlägt die Kühlschranktür zu, bevor sie etwas Passendes gefunden hat. Dann gießt sie sich Kaffee ein, den ihre Schwester meist schon eine Stunde zuvor zubereitet hat, lässt sich in einen Küchenstuhl fallen und trinkt die heiße Flüssigkeit pur, ohne Milch und Zucker. Dazwischen gähnt sie ausgiebig.
Für Grigori der ebenfalls um diese Zeit in die Küche geht, ist der Weg an Olga vorbei zur Kaffeekanne die erste morgendliche Verunsicherung. Obwohl die Küche eng ist, versucht er, sie nicht zu berühren und nicht zu viel anzuschauen. Um die Erscheinung seiner Schwägerin in der morgendlichen Küche scheint ein Schimmer zu liegen, vielleicht ein Schein. Sie wirkt heller als die Umgebung. Sie zieht seinen Blick unerbittlich an.
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Er begrüßt Olga kurz. Sie nickt und gibt einen leisen Laut von sich. Grigori nimmt, für einen Augenblick, ihre Beine wahr, die im Sitzen vom Morgenmantel nicht bedeckt werden. Der Knoten des Mantels ist locker und Grigori kann die weiße Haut erkennen, die dahinter hervorschimmert. Dann hat Olga ihre Nachlässigkeit bemerkt und zieht den Mantel wieder fester zusammen.
Grigori wendet sich seinem Kaffee zu, den er mit viel Milch und Zucker trinkt. Seine Schwägerin sieht nicht nach einem Gespräch aus.
Grigori fragt sie nach ihren Plänen für den Tag. Olga zieht ihren Morgenmantel noch fester zusammen und antwortet kurz. „Das Übliche, Spazierengehen“. Dann greift sie zu ihrem Handy, das sie immer neben sich hat und beginnt darauf zu lesen.
Grigori wendet sich dem Kühlschrank zu und entdeckt noch ein Kottelet vom gestrigen Tag darin. Seine dicklichen Finger greifen unwillkürlich danach. Er beginnt es genüsslich zu verspeisen. Derweil steht Olga auf, nimmt ihre Kaffeetasse, nachdem sie ihr Handy in die Manteltasche hat gleiten lassen und verlässt die Küche.
Wenigstens dieses Kottelet hat Grigori gefunden. Es muss die Leere, die er nach dem Verschwinden Olgas aus der Küche verspürt, notdürftig auffüllen.
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Der Schmerz, den er jedes Mal fühlt, wenn Olga von ihm weggeht, bleibt.
Grigori begibt sich unter die Dusche und beginnt mit der Rasur. Alexandra klopft an die Badezimmertür und steckt unaufgefordert ihren Kopf hinein.
„Du bist spät, heute. Hast Du nicht gut geschlafen?“
Grigori hat Schaum im Gesicht und grunzt, während er eine weitere Bahn mit seinem Nassrasierer zieht. „War müde heute Morgen. Ich habe auch nichts Eiliges vor“.
Alexandra gibt sich zufrieden. „Ich gehe jetzt“, sagt sie, „wir sehen uns heute Abend“.
Grigori nickt und rasiert sich weiter.
Im Schlafzimmer zieht er sich an und beschließt heute ein kariertes Jackett zu tragen, das in herbstlichen Tönen gehalten ist. Draußen scheint es warm genug zu sein, so dass er auf einen Mantel verzichten kann. Einen Schal legt er sich aber um, bevor er die Wohnung verlässt.
Für heute hat er einen bekannten Wirtschaftsanwalt auf dem Plan, der ihm helfen soll, seine Anteile bei Kazatoprom gegen die Angriffe des kasachischen Geheimdienstes zu sichern.
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Grigori geht die East Row nach Süden und biegt dann links in die Southern Row ein. Es wird ein längerer Spaziergang bis zur Untergrundstation Ladbroke Grove, welche sich auf der anderen Seite der Gleisanlagen befindet, die durch North Kensington führen. Es gehen nur zwei Brücken auf die südliche Seite, die Grigori zu Fuß erreichen kann. Die Brücke auf der Ladbroke Grove und die Golborn Road-Brücke ganz in seiner Nähe. Dort gibt es ein kleines Restaurant mit einer grünen Bestuhlung auf der Straße, wo er des Öfteren seinen zweiten Kaffee trinkt und eine Kleinigkeit isst. Grigori beabsichtigt, sich auch heute dort niederzulassen und an einem der hübschen Tische die mit Blumensträußen dekoriert sind, das Straßenleben zu genießen. Er geht etwas zügiger als sonst am Honiman Pleasance Park vorbei, der in Wirklichkeit ein umgebauter alter Friedhof ist, auf dem sich große und markante, aber recht verfallene Grabstätten befinden. Sicher eine Art britischen Humors, aus einem Friedhof einen Vergnügungspark für Kinder zu machen und die alten Grabmale einfach stehen zu lassen.
Grigori ist es egal. Er biegt nach kurzer Zeit in die Golborn Road ein und erreicht die Brücke mit dem Restaurant. Es ist niemand dort an diesem Vormittag und er kann sich einen Platz an der Straße aussuchen, die mäßig befahren ist. Sofort
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kommt eine Kellnerin und nimmt seine Bestellung auf. Ein Bacon-Sandwich und eine Tasse Kaffee. Dann streckt Grigori die Füße aus und betrachtet den Verkehr.
Eigentlich ist er ganz zufrieden und hofft, dass sich alles zum Guten wenden wird. Dabei betrachtet er einen schönen dunklen BMW der Siebener-Reihe, welcher auf seiner Höhe kurz links ranfährt, vermutlich um etwas aus dem Bistro zu holen. Die Tür geht auf und ein Mann in einer Sportjacke steigt aus. Grigori hat das Gefühl ihn zu kennen, aber er ist unsicher.
Der Mann geht auf den Eingang zu und lächelt Grigori an. „Wissen Sie, ob es hier einen „Takeaway-Service“ gibt, fragt er Grigori. Der nickt und weist nach Innen. Der Mann bedankt sich höflich und zögert kurz. „Sind Sie Grigori“, fragt er beiläufig. Grigori nickt verwundert. „Ich habe etwas für Sie“, sagt der Mann und zieht im selben Augenblick eine großkalibrige Pistole aus seiner Tasche. Er will ihm offensichtlich damit ins Gesicht schießen, aber Grigori zuckt zusammen, so dass der erste Schuss daneben geht. Dann entscheidet sich der Killer mehrfach auf Grigoris Oberköper zu schießen. Die Schüsse sind ungedämpft und hallen laut über die Brücke. Der kräftige Russe auf dem Stuhl sackt zusammen. Kurz scheint der Killer zu überlegen, ob er doch

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noch in den Kopf schießen soll, hört dann von hinten die hysterischen Schreie einer Frau, die nach der Polizei ruft. Der Killer verzichtet auf den letzten Schuss, springt in den Wagen und fährt davon.
Grigori fällt zu Boden, was vermutlich ein Glück ist, weil sein schwacher Kreislauf in dieser Lage noch das Gehirn versorgen kann. Er nimmt wahr, wie sich Menschen über ihn beugen und seine Füße anheben. Das fühlt sich an, als ob er schwebt. Schließlich spürt er ein paar kräftige Schläge gegen seine Brust und verliert das Bewusstsein.