Eine Schachpartie, die in einem Atomkrieg enden könnte

Sönke Paulsen, Berlin

Ob Putin seinen Angriff auf den Westen gut bedacht hat?

Putin hält sich nicht an das Völkerrecht, aber er hält sich an die bestehenden Schachregeln. Das „Minsker Schachspiel“ gegen die Ukraine hat Putin allerdings verloren. Nun wird eine neue Partie eröffnet. Putin spielt „Räuber-Schach“ gegen die Ukraine. Der Westen wird handeln.

Wie oft habe ich mich über das Machwerk geärgert, das nach dem russisch inszenierten Putsch im Donbass, ausgerechnet in der Hauptstadt der letzten europäischen Diktatur ausgehandelt wurde. Der Minsker Vertrag sieht die Integration der russisch installierten „Theaterrepubliken“ Lugansk und Donezk in die Ukraine vor. Allerdings so, dass Russland damit in die Rada, das ukrainische Parlament, einziehen und auf die weitere Entwicklung des Landes erheblichen Einfluss nehmen könnte.

Kein Politiker der die Ukraine als sein Vaterland ansieht, kann bei einer solchen Rochade mitgehen. Sie bedeutet, dass der russische Angriff auf die Ukraine 2014 und ihre Verstümmelung durch Russland in Kiew auch noch politisch legitimiert und anerkannt wird. Zum Glück haben sich die Ukrainer standhaft geweigert, mit den russischen Separatisten zu verhandeln. Das Problem, dass auch westliche Staaten, darunter Deutschland, Druck ausüben, die Minsker Verträge umzusetzen, hat Kiew nun nicht mehr. Putin hat aus der verdeckten Invasion 2014 eine offene Invasion gemacht und „Minsk“ vor laufenden Kameras gleichsam zerrissen. Russische Truppen stehen inzwischen ganz offiziell im Donbass. „Auf Friedensmission“. Russland erkennt seine eigenen Theaterrepubliken auf fremdem Boden nun offiziell an.

Der Westen kann sich fast freuen. Denn durch diesen Schachzug hat der Präsident klargemacht, dass er die westlichen Sanktionen fürchtet. Warum sonst hätte er sich durch die Hintertür in die Ukraine geschlichen und sie nicht mit einer klaren und schnellen militärischen Operation eingenommen? Die Anerkennung und militärische Übernahme der längst abgespaltenen Landesteile der Ukraine war der einzige Zug, der noch ohne schwerste Sanktionen der USA und der EU, aber auch ohne Brüskierung der Chinesen, die eine russische Invasion der Ukraine ablehnen, möglich war.

Wenn sich Putin an die Schachregeln hält und die Bedrohung seiner eigenen Figuren durch den Gegner ernst nimmt, kann er die Demarkationslinie zur „nicht besetzten“ Ukraine nicht überschreiten. Denn dann käme ein massiver Gegenangriff auf wirtschaftlicher und finanzieller Ebene, der zu großen Teilen in Washington bereits ausgearbeitet wurde. Dann würde auch Russland angegriffen! Das Land ist wirtschaftlich zu schwach, um das lange durchzuhalten. Man kann Zweifel haben, ob Putin kalkuliert hat, dass er es mit einem eskalierenden Wirtschaftskrieg zu tun bekommt.

Nicht die Nato bedroht die russischen Eliten, sondern die Demokratie

Nicht die Bedrohung durch die Nato, sondern die „Bedrohung durch die Demokratie“ ist das Hauptproblem des Kremls und seiner Oligarchen.

Die Bedrohung der russischen Machtclique durch die Demokratie war schließlich der Auslöser dieser Schachpartie, die dem Westen vom Kreml aufgezwungen wurde. Der Schreck über die belarussischen Proteste, steckt den Machthabern in Moskau und Minsk tief in den Knochen. Mit einem, durch Sanktionen, forcierten wirtschaftlichen Niedergang Russlands wird die „Bedrohung durch das eigene Volk“ früher oder später nur noch durch eine Diktatur chinesischen Zuschnittes mit allgegenwärtiger Kontrolle in Schach zu halten sein. Die Frage ist, ob Putin das ebenfalls bedacht hat?

Was kann jetzt also der nächste Zug des russischen Präsidenten sein? Er könnte versuchen, seine Marionetten in Donezk an die Front zu schicken um dort kleine Gebietsgewinne durchzusetzen.  Das Ziel wäre eine Landbrücke zur Krim zu schaffen. Allerdings würde jeder größere Erfolg die „Sanktionskanone“ des Westens gegen Russland laden. Denn nun kann Putin nicht mehr behaupten, dass Russland mit seinen Regimen in Donezk und Lugansk nichts zu tun hat und dass es sich um eine innerukrainische Angelegenheit handele. Damit ist auch der politische Hebel gegen Kiew unbrauchbar.

Eine Sackgasse, die lediglich durch einen Großangriff auf das verbliebene ukrainische Staatsgebiet zu überwinden wäre, durch einen Krieg gegen den Westen also.

Der Westen ist aufgewacht

Letzterer ist nun hoffentlich aufgewacht und rüstet auf. Denn der Präsident Russlands hat den Willen zur militärischen Aggression öffentlich bekräftigt. Die Ukraine ist nach der Meinung Putins eigentlich ein gescheiterter Staat ohne Existenzrecht. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Ein Staat ohne Existenzrecht! Damit ist er zwar noch nicht in der EU einmarschiert, hat aber das rote Band der europäischen Friedensordnung durchschnitten. Wer ist der nächste?

Vielleicht ein Glücksfall für die EU, die nun zusammenrückt und sich unter der russischen Bedrohung, auch militärisch neu aufstellen wird. „Russophobie“ war gestern. Die russische Gefahr ist hochaktuell! Denn Putin hat gerade deutlich gemacht, dass er jederzeit das Schachbrett verlassen und seine Panzer gegen uns schicken kann. Im schlimmsten Falle kann er den dritten Weltkrieg auslösen. Die atomare Abschreckung funktioniert nur noch sehr eingeschränkt. Wenn Russland sich in Europa durch Gebietsgewinne ausbreitet, weil es konventionell-militärisch überlegen ist, wird die Nato vor der Wahl stehen, zu eskalieren oder zu kapitulieren. Eskalieren bedeutet aber irgendwann Atomwaffen einzusetzen. Ein taktischer Atomkrieg in Europa, wie er im Kalten Krieg noch akzeptiert wurde,  wäre heute aber nicht mehr denkbar. Somit bliebe am Ende nur, Russland direkt atomar anzugreifen. Dann allerdings hätte Putin mehr Menschen auf dem Gewissen, als Hitler und Stalin zusammen. Ob der russische Präsident das ebenfalls bedacht hat?

Zumindest hat er sein Schachbrett unmittelbar am Abgrund dieser Katastrophe positioniert. Das wird er wohl wissen?

spaulsen

4 Comments

  1. Solange nicht alle Nato Armeen mit Gender-Toiletten ausgestattet sind, ist ein Krieg gegen Putin undenkbar.

  2. Die Frage ist nicht ob hier jemand Räuberschach spielt. Es geht um einen Punkt: Wird die NATO für einen Baltischen Staat einige Städte opfern. New York, LA, London , Paris, Rom, oder Budapest? Das ist hier ein psychologischer Kampf. Was ist dir ein Stückchen eines Baltischen Zwergenlandes wert, in dem eh die Hälfte der Einwohner russischer Abstammung ist. Einsatz: Totaler Krieg oder Nachgeben und überleben. Rot oder tot – das ist hier die Frage. Und ich Wette: Wegen einer Fläche kleiner als NY opfert kein westliches Land seine Bevölkerung komplett incl Städte, Bewohner, Kultur und Zivilisation.

  3. Die gleiche Frage könnte man ja auch in Bezug auf Russland stellen: Ist Russland bereit für ein Gebiet kleiner als der Großraum von Moskau bereit, seine eigene Hauptstadt zu opfern??

    • Diese Frage ist berechtigt – aber falsch gestellt. Russland wird die NATO/EU nicht mit Nuklearen Waffen angreifen, sondern konventionell. Die NATO würde wie antworten? Sicher nicht mit einem atomaren Kleinangriff auf Moskau. Der Griff zur A-Bombe wäre die Aufforderung zum totalen Atomkrieg. Das ist der Punkt. Die NATO müsste konventionell antworten. Aber wer, wie, wo, womit ? Wenn ein Baltischer Staat angeknappst würde, womit soll geantwortet werden? Mit deutschem Schrott? Soll die 6. oder xte Flotte der USA ins Baltische Meer oder ins Schwarze Meer? Dort lägen sie auf dem Präsentierteller aller russischen Waffengattungen. Und bevor sie dort ankommen, müssen sie durch den Belt oder die Dardanellen. Ein paar Minen und ein U-Boot reichen aus. ich gebe zu, dass ich bis vor einigen Tagen die russische Armee offensichtlich schwer überschätzt habe. Aber mal ehrlich – was hat Europa zu bieten? Da sind keine größeren Armeen im EU Osten. Ein gepampertes polnisches Aufgebot, das erst einmal durch Weißrussland muss. Und alles konventionell. Außer W15 habe ich militärisch nichts zu bieten. Aber was in Deutschland als Friedensdividende schön geredet wurde, dürfte ähnlich in vielen EU-Ländern sein. Und die EU hat vorwiegend Zwergenstaaten. BENELUX, Malta, Irland, Dänemark , Norwegen sind zu weit weg und zu klein. Der Club Med auch weit weg. Die Briten und Franzosen kämen mit ihren Flotten auch nicht durch die Meerengen. Putin könnte preiswert rauben auf dem Schachspiel. Ich sehe nur einen Trumpf. Der chin. Drache in Sibirien. Den müsste Putin mehr fürchten als den Westen. Nur Drachen gibt es noch nicht auf dem Schachbrett.

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