Sönke Paulsen, Berlin
Nicht durch den Krieg, sondern ohne den Krieg käme der Kreml in Schwierigkeiten. Die Hoffnung, Russland niederzuringen kann nicht durch eine innere Destabiliserung Russlands begründet werden. Allein massiver Waffeneinsatz aus dem Westen, kann Putin stoppen.
Die Sanktionen waren notwendig und sie treffen Russland schmerzhaft. Allerdings wäre der größere Schmerz für die Kreml-Elite der Verlust der eigenen Macht. Genau gegen diesen Verlust kämpft der Kreml unter Wladimir Putin im Ukraine-Krieg.
Optimistische Wirtschaftsdaten für Russland gab es noch im Jahr 2021, als Bloomberg Russland mit dem Innovationsindex der Wirtschaft positiv bewertete. Außerdem wurde zu bedenken gegeben, dass Russland im Jahr 2021 die elftgrößte Volkswirtschaft der Erde mit einem BiP von 1,5 Billionen Dollar war. Daran dürfte sich grundsätzlich nicht viel geändert haben. Das BIP war im Vergleich zum Vorjahr um 23% gestiegen.
Die Achillesverse Russlands war aber immer das vergleichsweise geringe Pro-Kopf BiP. Dieses liegt nicht auf Platz 11 der globalen Volkswirtschaften, sondern auf Platz 67 und beträgt nur 12 219 Dollar. Ein Land mit einem vergleichbaren Bruttoinlandsprodukt wie Südkorea hat ein Pro Kopf BiP von über 30 000 Dollar, fast das Dreifache.
Noch schlimmer sieht es in Russland mit dem Pro-Kopf-Einkommen der Bevölkerung, dem Jahresdurchschnittseinkommen aus. Dieses liegt bei unter 10 000 Dollar und entspricht noch nicht einmal den Durschnittsgehältern in Russland, die bei 7200 Dollar im Jahr liegen. An Platz 11 der globalen Volkswirtschaften müsten die Russen eigentlich so viel verdienen wie die Südkoreaner, nämlich knapp 30 000 Dollar. In Südkorea sind das BIP pro Kopf und das Durschnittseinkommen identisch. In Russland liegt das Durschnittseinkommen noch ein Drittel niedriger als das BIP pro Kopf.
Jetzt könnte man einwenden, dass die Preise in Russland niedriger sind und teilweise mit erheblichem Aufwand (Lebensmittelpreise) künstlich niedrig gehalten werden. Somit ergibt sich eine Kaufkraftparität von etwa 30 000 Dollar. Im Vergleich liegt die Kaufkraftparität Südkoreas aber bei knapp 50 000 Dollar.
Man kann also zusammenfassen, dass Russland zwar die elftgrößte Volkswirtschaft der Welt ist, aber wenig von dem Nationaleinkommen bei der Bevölkerung ankommt. Viel weniger als bei anderen Staaten mit einem BiP von 1,5 Billionen Dollar, viel weniger als in Südkorea, aber vergleichbar mit Brasilien, welches ebenfalls ein großes Armutsproblem hat. In beiden Ländern leben viele Menschen von Krediten, was bedeutet, dass sie nicht genug Geld für Grundnahrungsmittel haben. In Russland hat die Zahl dieser Armen in den letzten Jahren zugenommen. Putin musste dieses Thema bei den jährlichen „Pressekonferenzen mit dem Volk“ immer mühsamer niederkämpfen.
Russland hat keinen entsprechenden Wohlstand entwickelt. Die enormen Ressourcen des Landes kamen einer sehr dünnen Oberschicht zu Gute, die nun die Macht-Elite des Landes stellt.
Putin hat schon in Tschetschenien und 2014 in der Ukraine gemerkt, dass er die darbende Bevölkerung mit Großmachtphantasien und militärischen Erfolgen ruhigstellen kann. Genau das tut er nun durch den Krieg in der Ukraine im ganz großen Maßstab. Andererseits bestünde die Gefahr, dass die Russen ihren Präsidenten eben doch irgendwann zum Teufel schicken wollen.
Dorthin also, wo er hingehört.
Auf eine innere Destabiliserung Russlands unter Kriegsbedingungen zu hoffen ist vollkommen illusorisch. Der Krieg stabilisiert Putins Macht. Russland muss mit purer Waffengewalt in seine eigenen Grenzen zurückgedrängt werden. Sanktionen mögen etwas dabei helfen. Aber das Wichtigste sind Waffen!