Gerhard Schröder zum 80.sten – ein seltsamer Patriot

Sönke Paulsen, Berlin

Muss man den Altkanzler rehabilitieren, jetzt wo er das achte Lebensjahrzehnt vollendet hat, bei relativ guter Gesundheit, wie man sieht? Er selbst würde eine solche politische Rehabilitation wohl eher belächeln. Aber man kann es sich ja einmal vorstellen, obwohl ich niemanden kenne, der Anstalten dazu macht.

Die Größen der SPD und die ehemalige Kanzlerin Angela Merkel würdigen Schröders politische Verdienste in einer öffentlichen Feierstunde. Man muss ja nicht Kanzler gewesen sein, um eine solche Feier anlässlich des Achtzigsten genießen zu dürfen. Stellen wir uns Angela Merkel vor, die ihm schließlich sein Amt im Jahr 2005 abgejagt hat, sehr zu seinem Unmut, wie sie sagt:

„Lieber Gerhard, Du hast in einer schwierigen Zeit unser Land auf den richtigen Weg geführt und damit die Grundlage für fast zwanzig Jahre Aufschwung gelegt.“

Wow! Das würde sich doch niemand ernsthaft und öffentlich trauen. Schröder hat tatsächlich die wirtschaftliche Prosperität Deutschlands mit seinem Agenda-Programm gefördert und schließlich als Ex-Kanzler die wirtschaftspolitischen Kontakte mit Russland und China merklich vertieft. Selbst mir bleiben die Worte der Ehrung dabei im Halse stecken, weil ich immer mitdenken muss, mit welcher Skrupellosigkeit er dabei vorangegangen ist.

Der Ex-Kanzler war vielleicht nicht der Erfinder der Armutswirtschaft, aber er hat den Billig-Markt in Deutschland eingeführt, hat Niedriglohnsektoren legalisiert, die Gewerkschaften dabei entmachtet und seine Partei brüskiert. Der neoliberale Umbau Deutschlands ist Schröders Werk.

Folgerichtig hat der „Genosse der Bosse“ sofort nach seiner Kanzlerschaft lukrative Beraterposten und Aufsichtsratsposten bekommen, den wichtigsten wohl bei Gazprom in Russland. Passend auch zur intensiven Männerfreundschaft mit Wladimir Putin.

Man mag es nicht. Aber die deutsche Wirtschaft hat rundherum von Schröder profitiert und das weiß der Kanzler auch. Er kann sich jeden Abend im Pyjama vor dem Schlafengehen selbst dafür ehren und liegt damit richtig.

Die Armutswirtschaft, die den deutschen Binnenmarkt jahrelang entlastet hat, indem die Realeinkommen vieler Menschen einfach stagnierten oder sogar zurückgingen, diese Armutswirtschaft, die heute vor allem durch Migranten aufrecht erhalten wird, hat ihm die SPD nicht verziehen und jeder aufrechte Gewerkschafter musst ihn hassen, tut es wohl auch noch heute.

„Wir hätten es die Union machen lassen sollen,“ sagte einmal ein SPD-Mann in einer Berliner Versammlung und erntete viel Zustimmung mit dieser Kritik. Schröder hat aus der SPD, in der er nun mal Mitglied war, eine Wirtschaftspartei gemacht, die sie nicht ist. Heute liegt sie bei 15% vermutlich auch noch Schröders „Verdienst“.

Und Putin?

Die Freundschaft zum russischen Diktator, wie man ihn inzwischen nennen muss, blieb unverbrüchlich. Von inneren Konflikten lässt der Alt-Kanzler nichts verlauten, auch wenn Putin inzwischen mehr als einhunderttausend Ukrainer und doppelt so viele Russen in diesem Krieg in den Tod geschickt hat.

Schröder hat etwas gegen moralische Vorhaltungen, die er auch als Moralisieren bezeichnet. Er bleibt dabei, dass dies wohl niemandem nützt und nichts ändert. Eine Sicht auf die Wirklichkeit, die man tatsächlich haben kann, die aber in Verbindung mit politischer Macht zur Skrupellosigkeit geradezu einlädt, wie Putins Beispiel zeigt.

Schröder ist in der komfortablen Situation sich nicht für politische Entscheidungen rechtfertigen zu müssen und gibt sich gern als Privatmann. Sein Lieblingsspruch ist: „…das steht mir nicht an, das wäre eine Anmaßung“.

Da er sich aus der politischen Verantwortung verabschiedet hat, darf er so reden und vor allem so handeln. Sich in China und Russland als „elder statesman“ feiern zu lassen und im Westen den Privatier zu geben. Ein guter Trick, sich seiner Verantwortung zu entziehen.

Ich will das nicht weiter ausführen, aber es reicht mir, um Schröder keine Laudatio zukommen zu lassen.  Ich will ihn auch nicht verdammen. Er hat die nötige Persönlichkeit um die Grenzen zu kennen, jenseits derer auch für ihn der moralische Abgrund anfängt. In den ist er nie gestürzt, aber seine Art, als unabhängig vom Mainstream zu sehen, wie er das gerne tut, kann ich nicht teilen. Die moralische Grauzone in der er seit zwanzig Jahren herumläuft und zu geschickt ist, sich wirklich zu beschädigen, nötigt mir keine Bewunderung und keinen besonderen Respekt ab. Er ist gelernter Politiker, Vollprofi. Er kann es einfach.

Allerdings ist Schröder Realist und kann mit der Realität umgehen, die selten einfach gut ist und oft viel eher schlecht, wenn sie auch im schlimmsten Fall noch Chancen beinhalten kann. Jemand, der solche Chancen sehen kann, ist Gerhard Schröder wohl schon. Das hat er schon gezeigt. Meinetwegen auch mit seiner Agenda-Politik.

Wenn ich diesen Achtzigjährigen, der noch durch die Welt jettet und im Grund Deutschland mit repräsentiert, würdigen sollte, würde ich es folgendermaßen ausdrücken:

Gerhard Schröder ist ein Kerl, der mir recht unsympathisch ist, der aber seine Notwendigkeit schon längst unter Beweis gestellt hat. Ganz offensichtlich hat Deutschland ihn gebraucht und braucht ihn möglicherweise sogar heute noch. Er hat es verstanden und ist vital und aktiv geblieben. Ein seltsamer Patriot.

spaulsen

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