Ein Krieg, den man nicht zu Ende denken kann?

Sönke Paulsen, Berlin

Jetzt hat Russland offiziell den Kriegszustand erklärt und ist von der Sprachregelung einer „militärischen Sonderoperation“ abgerückt. Begründet hat Moskau den Sinneswandel mit der massiven Unterstützung des gesamten Westens  für die Ukraine. Letzte Eskalationsstufe war die Androhung von französischen Kampftruppen in der Ukraine, sollte dies notwendig werden.

Der Krieg muss also weitergedacht werden, da nun davon auszugehen ist, dass ein Kriegseintritt Frankreichs nicht mehr ausgeschlossen werden kann. Auch andere Länder denken darüber nach, darunter Tschechien und wohl auch Polen. Wenn sich also dieses „Worst-Case-Szenario“, dass die Ukraine nur zu halten ist, wenn europäische Länder Truppen schicken, eintritt, haben wir zunächst einmal einen großen europäischen Krieg. In diesem stehen dann mindestens zwei Atommächte gegeneinander.

Aber was macht dann die Nato?

Sollte Frankreich tatsächlich ein nennenswertes Kontingent (die Rede war von zwanzigtausend Soldaten) in die Ukraine schicken, müsste Frankreich Russland eigentlich den Krieg erklären. Es wäre ja so, dass die französischen Soldaten nach unserer Lesart ukrainisches Territorium verteidigen, während sie nach russischer Lesart die Russische Föderation angreifen. Denn die besetzten Gebiete sind ja annektiert worden. Frankreich kann zwar mit guten Gründen argumentieren, dass es, wie alle westlichen Länder, die Annexion nicht anerkennt. Aber Moskau würde dennoch behaupten, dass Frankreich Russland angegriffen hat. Da für die Ukraine die Beistandspflicht der Nato nicht gilt, dürfte sie auch für Frankreich nicht gelten. Es sei denn, dass Russland französisches Territorium attackiert.

In eine vergleichbare Situation könnten alle europäischen Länder kommen, die Truppen in die Ukraine entsenden. Sie wären Kriegspartei ohne Schutz der Nato. Im Falle Polens könnte das allerdings sehr schnell anders werden. Denn Russland verletzt schon jetzt den polnischen Luftraum, wenn es seine Raketen nach Lwiv feuert. Die polnische Luftwaffe wurde in Alarmbereitschaft versetzt.

Wenn polnische Kontingente in der Ukraine kämpfen, dürften solche territorialen Verstöße zunehmen. Spätestens wenn die ersten russischen Raketen in Polen einschlagen, müsste der Artikel 4 der Nato ernsthaft erwogen werden. Das ist nicht unwahrscheinlich, weil die Russen versuchen werden, polnisches Kriegsgerät das in der Ukraine eingesetzt werden soll, zu zerstören. Dann reden wir nicht mehr von einem europäischen Krieg, sondern von einem Weltkrieg. Denn dann sind auch die USA zum Beistand verpflichtet und es liegt nahe, dass sie militärisch aktiv gegen Russland vorgehen.

Spätestens in diesem Szenario denkt Moskau ernsthaft über taktische Atomwaffen nach, auf die die Nato nur konventionell antworten kann, weil sie selbst nicht über taktische Atomwaffen verfügt. Es sei denn, man wollte die atomare Eskalation durch den Einsatz von strategischen Atomwaffen riskieren.

Wie auch immer. Beim Einsatz taktischer Atomwaffen durch den Kreml wird es massivste konventionelle Gegenschläge durch die USA geben. Das wurde bereits angekündigt. Alle Natostaaten einschließlich USA wären dann im Krieg mit Russland, das von Anfang an seinen Vorteil in der Eskalation gesucht hat.

Wenn man so weit denkt, reicht ein Funke für einen großen Atomkrieg aus. Da ein Atomkrieg nach allgemeiner Einschätzung in Ost und West nicht geführt werden kann und zur Vernichtung unseres Lebensraums führen würde, kann der Ukrainekrieg eigentlich nicht zu Ende gedacht werden. Denn das Ende ist der atomare Overkill.

Was macht man aber mit einem Krieg, den man nicht bis in seine letzte Konsequenz denken kann.  Man kann nur den „point of no return“ die rote Linie definieren, die das Spielfeld markiert, über das nicht hinausgegangen werden darf. Nur unter diesen Bedingungen kann man sich vorstellen, dass entweder das angreifende Russland oder die angegriffene Ukraine den Krieg verliert oder gewinnt oder die Sache in einem Patt endet. Gewinnen um jeden Preis, wäre sehr wahrscheinlich mit dem Überschreiten einer solchen roten Linie verbunden.

Deshalb tun alle Beteiligten gut daran, zu definieren, ab welchem Punkt Schluss sein muss. Nur, können Sie das?

Im Kreml weiß man ganz genau, dass diesen Krieg die gewinnen, die keine Skrupel haben. Deshalb eskaliert man fleissig. Selbst die Doktrin, dass Atomwaffen nur dann eingesetzt werden, wenn die Sicherheit Russlands auf dem Spiel steht, wird zum Teil des Eskalationsstrategie. Wenn plötzlich in der Ukraine Russland ist, sind Atomwaffen jederzeit einsetzbar. Aber auch, wenn man das islamistische Attentant in Moskau der Ukraine zugeschrieben wird, was Putin bereits andeutet, obwohl es der IS war, ist die Sicherheit Russlands in Gefahr, und so weiter…wenn die Sicherheit Russlands am Sieg in der Ukraine hängt, werden ebenfalls Atomwaffen gerechtfertigt. Kurz diese Doktrin ist im Fall der Fälle keinen Pfifferling wert, weil das Regime in Moskau sie immer mit irgendwelchen Behauptungen bedienen kann. Somit ist auch die konsequente Desinformation Putins teil der Eskalationsstrategie.

Wenn also in diesem Krieg die Skruepllosigkeit gewinnt, dann haben die Russen die besten Karten.

Zur Strategie der Skrupellosigkeit gehört natürlich auch dazu, dass in Russland das Leben junger Soldaten keinen Wert mehr hat. Sie werden in das Abwehrfeuer der Ukrainer getrieben und sterben dabei zu Tausenden. Man stelle sich vor, dass französische Soldaten einer solchen Situation ausgesetzt sind. Einer von ihnen muss dann vielleicht Dutzende Russen töten und kämpft trotzdem noch auf verlorenem Posten, weil er eben Dutzende weitere Russen nicht töten kann, die dann seine Stellung überrennen.

Es ist diese Skrupellosigkeit, die die Russen auch im zweiten Weltkrieg angewendet haben. Wer nicht ins deutsche Feuer der Deutschen laufen wollte, wurde von hinten unter Beschuss genommen. So viel Menschenverachtung hat selbst die Wehrmacht nicht aufgebracht.

Auch unter diesem Gesichtspunkt der russischen Skrupellosigkeit den eigenen Soldaten gegenüber muss man im Westen die eigenen roten Linien definieren. Der Schrecken den der IS in den ersten Jahren seiner Erfolge für sich nutzen konnte, bestand auch darin, dass die Kämpfer auch dann noch vorwärts gingen, wenn die meisten von ihnen fielen. Auf diese Weise waren sie kaum zu stoppen. Die Russen kämpfen wie der IS. Der Respekt vor dem Leben der Einzelnen wird vollkommen ausgeblendet.

Wenn man als zivilisierte Armee seine Soldaten unter diesen Bedingungen nicht opfern möchte, hilft nur noch der Einsatz von Massenvernichtungswaffen gegen den Feind. Streumunition bekommt die Ukraine schon aus den USA, Thermische Bomben mit annähernd atomarem Potential werden noch nicht eingesetzt, dürften aber kommen. Wo ist die Grenze?

Menschen, die Russland ins Feuer schicken kann, gibt es genug. Das ganze Land ist hypnotisiert von diesem Regime und durch Angst gelähmt. Russland kann unter diesen Bedingungen bis zum „Endsieg“ kämpfen. Der Westen wohl kaum.

spaulsen

One Comment

  1. Es gibt viele Spielereien diesen Krieg und seine Möglichkeiten anzudenken. Ich persönlich bin nach wie vor der Meinung, dass die Ukrainer in der Lage sind eine A-Waffe zu bauen. Sie sollen ja alles haben. Nicht nur die Hardware sondern auch das Wissen. Es muss nicht die State of the Art – Bombe sein. Und sie muss nicht mal fliegen können. Sie muss auch nicht Russland erreichen. Es reicht eine steuerbare und schwimmende Drohne mit der A-Bombe, die in einen Hafen auf der Krim einläuft und dort dann explodiert oder sichtbar für die Welt jederzeit zur Explosion gebracht werden kann. Wie wird Russland mit diesem Geschenk reagieren? Der Westen? Der Rest der Welt?
    Die Ukraine könnte auch eine Testbombe auf eigenem Gebiet mit/ohne Ankündigung zünden.
    Es muss ja nicht die Atombombe sein. Die ukrainischen Sondereinheiten könnten auch Giftgas einsetzen. Tschetschen wären da ideal. Und ein paar Duzend Behälter in Moskau etc versteckt oder offen deponiert….
    Jede Partei ist skrupellos

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