Sönke Paulsen, Berlin
In der New York Times gibt es Streit. Sollen konservative Gastbeiträge unkommentiert veröffentlicht werden, auch wenn sie Positionen der Trump Administration stützen? Das Gleiche scheint für Interviews zu gelten, die nicht deutlich genug die politische Positionierung des Blattes erkennen lassen.
Im Clinch lagen der Meinungsredakteur James Bennet und der Chefredakteur Dean Baquet. Letzterer, Afroamerikaner, verteidigt seine Entscheidung, einen Beitrag des republikanischen Senators, Tom Cotton, zu veröffentlichen, dass auch gegen den Willen einzelner Gouverneure Truppen in Bundesstaaten geschickt werden können, die wegen der bestehenden Unruhen destabilisiert erscheinen. Eine verbreitete Anschauung bei den Republikanern, die Trump keinesfalls allein vertritt, wie uns unsere Medien glauben machen wollen.
Der Versuch eine „blattfremde“ Meinung abzudrucken, ging nach hinten los.
Die New York Times ist längst zu einem Kampfblatt gegen die Trump-Administration geworden und da kommt es schlecht, wenn man Meinungen des politischen Gegners unwiderlegt auf den eigenen Seiten veröffentlicht.
Der Chefredakteur vertritt zwar die Position, dass der Zeitung eher die Rolle eines Chronisten zukommt und diese daher zur Objektivität verpflichtet sei, somit auch andere Meinungen drucken müsse, steht aber inzwischen in der amerikanischen Medienlandschaft ziemlich allein da.
Die amerikanische Medienlandschaft ist massiv polarisiert und befindet sich in einem Grabenkrieg der politischen Anschauungen.
Wer mehr über das Klima bei der Zeitung erfahren möchte, dem sei die Reportage „Die Vierte Macht – The fourth estate“ empfohlen, die von arte und ARD ausgestrahlt wurde und deutsch unter dem Titel: „Mission Wahrheit – Die New York Times und Donald Trump“ lief. Wer sich diese Dokumentation noch anschauen kann, merkt schnell, dass es um den politischen Kampf gegen Trump geht und nicht um die Wahrheit oder eine objektive Berichterstattung.
Der gescholtene Chefredakteur Baquet dürfte also eher versucht haben, die Uhr zurückzudrehen und das Blatt aus der Sphäre der Manipulation und des Meinungsjournalismus heraus zu ziehen.
Repräsentativ dürfte eher die Position eines journalistischen Hardliners im Meinungskampf sein, der zur Krise bei der „New York Times tweetete“: „Objektivitäts-versessener Beide-Seiten-Journalismus“ sei ein „gescheitertes Experiment“, „moralische Klarheit“ sei gefragt.
Ursachen für diesen Paradigmenwechsel bei den Medien sind wohl auch in der Verschiebung des Mainstreams von konservativen zu linksliberalen Positionen zu sehen. Denn auch in den achtziger und neunziger Jahren war die New York Times nicht objektiv. Noam Chomsky hatte genau dieses Blatt immer wieder im Sinn, als er von der „Konsensfabrik“ in den Medien sprach. Ein Film des kritischen Wissenschaftlers mit gleichem Titel „Die Konsensfabrik“ nahm damals schon die New York Times kräftig ins Visier.
Brauchen wir auch eine stärker polarisierte Medienlandschaft?
In den USA gibt es noch zwei große Gruppen an Medien (konservativ und liberal-für und gegen Trump), die sich gegenseitig bekriegen, die Medienlandschaft ist polarisiert.
In Deutschland sieht die Lage aber ganz anders aus. Wir haben in der Ära Merkel eine zunehmend auf Konsens orientierte Medienlandschaft bekommen. Mediale Kämpfe fallen bei uns aus.
Opposition zur Regierungspolitik der großen Koalition gibt es bei uns kaum noch im Mainstream, Opposition findet vor allem in den sozialen Netzwerken statt.
Wer aus dem Konsens ausbricht, riskiert die eigene Demontage.
Ein Beispiel könnte der Chefredakteur der Bild-Medien Julian Reichelt werden. Dieser hat das Blatt von einem Kanzler-Medium, das jahrelang Merkels Regierungshandeln stützte (auch noch in der Flüchtlingskrise) zu einem kanzlerkritischen Boulevardblatt gemacht. Merkel wird von Reichelt inzwischen direkt und indirekt attackiert.
In einem Interview des Redaktionsnetzwerkes Deutschland wird seine Rolle von einer Medienwissenschaftlerin kritisch kommentiert. Da ist die Rede von fehlender Konsensbereitschaft in einem „Medialen Pakt der Vernunft“ angesichts der Corona-Krise, mit der „Reichelt und seine Boygroup sich ins Aus manövriert“ hätten.
Der Sinn der Polarisierung auch zu Zeiten der Corona-Krise scheint dabei selbst von einigen Medienwissenschaftlern nicht mehr verstanden zu werden.
Interessant ist, dass Reichelt zwar einerseits unfaire Berichterstattung mit dem Hintergedanken, die Kanzlerin zu treffen, vorgeworfen wird, gleichzeitig aber eine unverblümte Parteinahme für Merkel in dem Interview durchschimmert.
„Es geht darum, eine weitere Amtszeit – um die viele Menschen in der Republik sie im Moment ja vergeblich beknien – auf jeden Fall zu verhindern. Diese Statue, zu der Merkel gerade wieder erwächst, kann “Bild” einfach nicht ertragen.“
Das ist schon harter Tobak wenn eine Wissenschaftlerin die die Medien kritisch beleuchten soll, so einseitig gegen einen Chefredakteur schießt und gleichzeitig Merkel zu einer Säulenheiligen macht, die auf jeden Fall eine weitere Amtszeit gebraucht wird.
Haben wir in Deutschland eine Konsensfabrik mit der Kanzlerin als Chefin? Es sieht alles danach aus.
Besonders die Polarisierung zwischen neoliberalen, linken, grünen und konservativen Positionen ist während Merkels Kanzlerschaft einer Melange aus diesen politischen Richtungen gewichen. Alle Mainstream-Medien reproduzieren diese Melange zuverlässig. Wer ausbricht und in einer der Richtungen den Konsens stört, ist nicht wohlgelitten. Julian Reichelt ist ein Beispiel dafür.
Die jahrelange Freundschaft zwischen Angela Merkel und den Verleger-Witwen, Liz Mohn und Friede Springer haben der Kanzlerin vermutlich ein friedliches Leben in Bezug auf die kritische Öffentlichkeit beschert. Unsere Medienlandschaft hat dabei aber ihre Pole verloren und ist inzwischen auf „Sprechweisen“ und „Konsensvorgaben“ der Politik angewiesen. Extrempositionen werden konsequent ausgegrenzt.
Das Problem mit der Objektivität
Die Frage, die man sich derzeit in der NYT, wenn auch nur noch marginal, stellt, ob Objektivität wichtig ist, in einer polarisierten Welt, können wir uns in Deutschland auch stellen.
Im Unterschied zur Wissenschaft entsteht in der öffentlichen Meinungsbildung Objektivität dadurch, dass sehr unterschiedliche Positionen zu einem Thema abgebildet werden. Die Medienlandschaft der siebziger Jahre dürfte auch bei uns in Deutschland dieser Vorstellung von Objektivität entsprochen haben, eingedenk einer gewissen konservativen Übermacht.
Die amerikanische Medienlandschaft entspricht heute noch dieser Art der Objektivität. Da schadet es dann nicht, wenn die Medien sich politisch parteiisch verhalten.
In Deutschland 2020 sieht es allerdings etwas anders aus. Sämtliche Leitmedien tragen ihre Meinungen in einer pseudo-objektiven Sprechweise vor, die ihre Legitimation vor allem aus dem Konsens von Medien und Politik erhält. Damit fällt mediale Opposition in den Leitmedien praktisch aus.
Ein Vermächtnis unserer Kanzlerin, die die gesamte Meinungslandschaft auf sich selbst zentriert hat, indem sie vor allem auch linke Parteien und nicht zuletzt die Grünen in ihre Politik eingebunden hat und mit einem Spiel politischer Avancen an sich bindet. Genau diesen Weg haben die Medien bisher wohlwollend mitgemacht, auch wenn dadurch Gegenpositionen kaum noch hörbar waren.
Eine Polarisierung, wie sie derzeit von Julian Reichelt betrieben wird, der damit auch den „politisch Ungläubigen“ aus der Seele spricht, stellt eine absolute Rarität bei deutschen Leitmedien und im Mainstream dar.
Genau diese Polarisierung brauchen wir aber, wenn wir wieder demokratisch werden wollen, also unsere politischen Meinungen im Widerstreit entwickeln möchten. Trotz aller Kritik ist diese in den USA vorhanden, bei uns in Deutschland aber nicht!
Zweiter Anlauf:
Aus These und Antithese wird Synthese – wie wir die Polarisierung durch mehr widerstreitende Argumentation produktiv nutzen können.
Wir sind eine polarisierte Gesellschaft, was fehlt, sind die Diskussionen. Hier muss man den Medien schwere Vorwürfe machen. Sie transportieren ausschließlich politische Standpunkte, die sie als gesellschaftlichen Konsens wahrnehmen und diskreditieren alle Abweichungen, insbesondere die konservativen Positionen.
An der Polarisierung unserer Gesellschaft besteht kein Zweifel, schon lange nicht mehr. Seit den siebziger Jahren, wo sich die Linken auf den Weg machten, die Institutionen zu erobern, besteht der Kampf zwischen traditionellen und progressiven Gesellschaftsauffassungen, wobei letztere in den westlichen Gesellschaften naturgemäß die Oberhand bekommen haben.
Die Themenbereiche Umweltschutz, Globalisierung, Liberalisierung der Gesellschaften sind Domänen der Progressiven, der Gegentrend wird jetzt allerdings stärker, weil wir auch stärker mit den negativen Folgen dieser Entwicklungen zu kämpfen haben.
Es geht also darum die Vor- und Nachteile der liberalisierten Gesellschaften, der Globalisierung, einer grünen Politik und des Gendermainstreaming zu diskutieren.
Warum geht das nicht? Warum ziehen sich die Akteure in ihre Gruppen zurück und bekämpfen die Gegenseite mit Hass, unfairen Anwürfen und Stimmungsmache?
Die Medien sind schuld!
Sie bedienen in dieser Krise vor allem die Gruppen, die ideologisch standfest sind und in der Zeitung jeden Tag ihre eigene Meinung lesen wollen. Das garantiert Leser, wäre auch nicht so schlimm, wenn wir eine vielfältige Medienlandschaft hätten.
Haben wir aber nicht. Wir haben eine stark konzertierte öffentliche Medienlandschaft, die hauptsächlich in einer Richtung berichtet, meist progressiv, manchmal konservativ, aber immer auf Regierungslinie. Das führt dazu, dass sachliche Argumente in Diskussionen Mangelware geworden sind, was sich besonders in der Migrationskrise zeigte.
Ein Phänomen, das damit verbunden ist, dass die gesamte Medienlandschaft in ihrer Meinung umschwenkt, wenn die Kanzlerin umschwenkt, was in der Migrationskrise besonders gut zu beobachten war, wirkte in fataler Weise diktatorisch, auch wenn es nicht angeordnet war, sondern auf eine Konvergenzsucht in den Medien zurückzuführen war.
Das Problem liegt darin, dass das Fehlen von Argumenten mit Emotionalisierungen von Inhalten in manipulatorischer Absicht ersetzt wird, was unser öffentliches Klima so giftig werden lässt.
Auch hier versagen die Medien, die eigentlich die Macht hätten, gesellschaftliche Auseinandersetzungen zu versachlichen.
Emotionen spielen dabei vor allem Extremisten in die Hände, die ihre Extrempositionen durch das Internet gekonnt verbreiten und damit von ultralinks bis extrem rechts vor allem eines schüren: Hass.
Substrat des Hasses ist die Verunsicherung.
Grund der Konvergenz der Medien ist auch die Verunsicherung.
Ursache der Polarisierung, die wir erleben ist ebenfalls die Verunsicherung.
Ideologen sehen dadurch ihre Stunde gekommen, weil sie Sicherheit bieten, wenn auch eine völlig falsche Sicherheit.
Wer in unseren Gesellschaften felsenfeste Meinungen vertritt, von denen er sich nicht abbringen lässt, auch wenn sie falsch sind, bekommt dafür, in der allgemeinen Verunsicherung, sogar Zustimmung und Respekt.
Die Positionen dieser Ideologen werden aber nicht mehr diskutiert, wie beispielsweise in den siebziger Jahren.
Da liegt das Problem!
Dazu gehört, dass gefühlte Wahrheiten, keine Wahrheiten sind, sondern einfach nur Gefühle, die aus Bewertungen resultieren, die ihrerseits meist aus Voreinstellungen resultieren.
Gefühlte Wahrheiten sind allerdings hochgradig normativ und bekämpfen die allgemeine Verunsicherung. Es ist also fast schon egal, hinter welchen schwachsinnigen Positionen sich die Öffentlichkeit gerade versammelt, Hauptsache, sie wird als Wahrheit angesehen.
Das Wissen auch die Medien und machen Kampagnen aber keinen investigativen Journalismus mehr.
Diese Entwicklung wird uns früher oder später in den Abgrund reißen, weil gefühlte Wahrheiten vor allem ein Produkt geschickter Manipulation sind. Diktaturen gründen sich hauptsächlich auf Manipulation der Bevölkerung, also werden wir wohl in einer Diktatur landen, wenn sich die Medien nicht besinnen und wieder zur objektiven Berichterstattung, jenseits von Kampagnen zurückkehren.
Die Hoffnung, dass der Bürgerjournalismus die bestehende Schieflage in der Informationslandschaft bessern könnte, hat sich nicht bestätigt. Es braucht professionelle Medienmachen, die aber eben ein Gewissen im Sinne einer objektiven Berichterstattung oder zumindest den Willen konkrete Argumente zu bringen, haben müssen.
Derzeit ist am Horizont nichts in der Richtung zu entdecken.