Gedanken zum Unabhängigkeitstag der Ukraine

Seit Stalin hat niemand die Ukraine derart beschädigt, wie Wladimir Putin

Sönke Paulsen, Berlin

In einem Artikel der SZ wird die Lage der Ukraine an ihrem dreißigsten Unabhängigkeitstag in dieser Woche skizziert und die Ursachen dieser ärmlichen Lage nur halb dargestellt. Der Westen trägt Schuld an der bedrückenden Situation dieses Landes, das sich in einem unerklärten Krieg mit Russland befindet. Er hat die Ukraine dahin getrieben.

Putin nutzt dieses Argument, wo er kann, sieht allerdings nicht die Schuld, die er selbst auf sich geladen hat. Stattdessen gibt es seitenweise Rechtfertigungen auf der Website des Kremls und Schuldzuweisungen an den Westen.

„Tatsache ist aber, dass die Situation in der Ukraine heute ganz anders ist, da es sich um einen erzwungenen Identitätswechsel handelt. Und das Ekelhafteste ist, dass die Russen in der Ukraine nicht nur gezwungen sind, ihre Wurzeln aus Generationen von Vorfahren aufzugeben, sondern auch zu glauben, dass Russland ihr Feind ist. Es wäre nicht übertrieben zu sagen, dass der Verlauf der gewaltsamen Assimilation, die Bildung eines ethnisch reinen ukrainischen Staates, aggressiv gegen Russland eingestellt, in seinen Folgen mit dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen gegen uns vergleichbar ist . Als Ergebnis einer solch groben, künstlichen Kluft zwischen Russen und Ukrainern kann die Gesamtzahl der russischen Bevölkerung um Hunderttausende oder sogar Millionen sinken.

Sie treffen auch unsere spirituelle Einheit. Wie zu Zeiten des Großfürstentums Litauen begannen sie mit einer neuen Kirchenabgrenzung. Ohne zu verbergen, dass sie politische Ziele verfolgten, griffen die weltlichen Behörden grob in das kirchliche Leben ein und brachten die Angelegenheit zur Spaltung, zur Beschlagnahme von Kirchen und zur Prügelung von Priestern und Mönchen. Selbst die weitgehende Autonomie der ukrainisch-orthodoxen Kirche bei gleichzeitiger Wahrung der spirituellen Einheit mit dem Moskauer Patriarchat passt ihnen kategorisch nicht. Sie müssen dieses sichtbare, jahrhundertealte Symbol unserer Verwandtschaft zerstören. (Wladimir Putin, http://kremlin.ru/events/president/news/66181)“

Putins Darstellung der härteren Gangart des ukrainischen Nationalismus ist aus der russischen Perspektive nachvollziehbar. Es gibt da nur ein Problem. Russland, oder genauer gesagt, Putin, ist die Ursache dafür.

Er verfolgt seit 2014 eine knallharte Machtpolitik gegenüber der Ukraine, dem Land, das er selbst filetiert hat, fordert aber von allen Anderen, einschließlich der Ukraine selbst, ein einsichtiges Zurückweichen. Das passt nicht, das ist absurd und unverschämt!

Dem Opfer der russischen Aggression nun abzuverlangen, sich den russischen Statthaltern im Donbass anzunähern, wie es im Minsker Abkommen gefordert wird, ist eine Perversion besonderer Art. Es verlangt von der „Zerstückelten“ mit ihren Peinigern zusammenzuziehen und sich gemeinsam in ein Parlament zu setzen. Das ist eine widerwärtige Gehirnwäsche nach russischer Art, die die Ukrainer zu Recht verweigern.

Putin gibt für diese Tragödie allen die Schuld und verwendet darauf Seiten und stundenlange Redebeiträge. Putin fordert dabei Einsicht von allen, nur nicht von sich selbst.

Es bleibt ihm auf rätselhafte Weise verschlossen, dass er den allergrößten Fehler selbst gemacht, als er das Land zerstückelte. Damit hat er den heftigen Nationalismus der Ukrainer, der vorher keiner war, so viel ist richtig, in Putins Einschätzung, aber damit hat er genau diesen Nationalismus provoziert. Seitdem sehen die Ukrainer, die Russland nie als Feind betrachteten, im Kreml einen Feind und retten sich in ein übersteigertes Nationalbewusstsein.

Wladimir Putin ist bei weitem nicht der einzige Schuldige in dieser Tragödie und er hat den Konflikt auch nicht angefangen, hat ihn nicht provoziert und ist tatsächlich auf ein unerträgliches Agieren der USA und der Europäischen Union angesprungen, die im Eigeninteresse einen ungerechtfertigten Putsch angestachelt haben.

Aber Putin hat dann das Schlimmste getan und ist damit der Hauptschuldige. An seinen Händen klebt das Blut der Ukraine und davon wird er sich bis zu seinem Lebensende nicht freisprechen können. Nur verdrängen kann er es und die Anderen beschuldigen, unterlegt mit langen historischen Abhandlungen.

Das ändert aber nichts. Putin hat sich an der Ukraine vergriffen und versündigt, sowohl im christlich-katholischen, im christlich-protestantischen und im christlich-orthodoxen Sinne. Er, der die spirituelle Einheit von Russen und Ukrainern beschwört, hat genau diese Gemeinsamkeit zerstört.

Er hat nach dem Putsch in Kiew, der sicher das Werk von politischen Abenteurern, ganz besonders der Grünen, der Neokonservativen und europäischer Größenwahnsinniger in Verbindung mit ukrainischen Neonazis war, das blanke Schwert über das Brudervolk gezogen und ihm die Körperteile abgetrennt.

Genau diese Körperteile versucht er nun verzweifelt am Leben zu halten, was ihm kaum gelingt. Der Wahnsinn in diesem brachialen Akt war, dass der Präsident wirklich glaubte, er könne die Ukraine mit Gewalt an Russland binden. In Wirklichkeit hat er das Land so stark beschädigt, dass die Reste dieses Volkes sich dauerhaft von Russland abwenden werden und der russische Präsident wohl als der schlimmste Aggressor in der Ukraine, seit Stalin, in die Geschichte eingehen wird.

Die Weltgeschichte steht seitdem still und kann nicht weitergehen, weil sie damit über ein zerstückeltes Land schreiten müsste. Es gibt seitdem keinen Weg für den Westen nach Russland und für Russland in den Westen.

Die Weltgeschichte kann erst weitergehen, wenn Putin selbst einsieht, dass er jede Annäherung in seiner Amtszeit blockiert hat und versucht, die Ukraine zu heilen.

Das ist die Aufgabe Wladimir Putins, der er sich nicht stellt.

spaulsen

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