Was, wenn die Ukraine mit ihrer Offensive scheitert?

Sönke Paulsen, Berlin

Ehrlich gesagt vermisse ich schon seit Wochen eine vernünftige Analyse darüber, was passiert, wenn die Ukraine mit ihrer angekündigten Offensive im Süden oder Osten scheitert. Was, wenn die Russen standhalten?

Ich selbst bin natürlich nicht in der Lage, militärische Analysen abzuliefern. Nur, diese konsequente Aussparung des Themas in unseren Medien, kommt mir verdächtig vor. Es wird immer von der Schwäche der Russen geschrieben, davon, dass sie alle Kräfte auf Bachmut und die vollständiger Eroberung dieser Stadt im Osten werfen. Aber von der Stärke oder Schwäche der ukrainischen Armee ist kaum die Rede.

Es ist schwer vorzustellen, dass diese Armee tatsächlich bis an das Asowsche Meer vordringen und die russischen Besatzer damit spalten kann. In den Angriffsphasen der Russen im Donbass war immer von einem Kräfteverhältnis von 5:1 die Rede, um befestigte Stellungen erfolgreich angreifen zu können. Nehmen wir an, die Ukrainer können an einer bestimmten Stelle der Front eine solche Überlegenheit aufbieten. Wie lange können sie das dann durchhalten?

Aus Washington hört man einzelne Stimmen, die nicht von einem Sieg der Ukraine ausgehehen. Das wäre ja noch nicht der Untergang. Aber wenn diese Armee der Verteidiger sich in einer Offensive verkalkuliert und große Verluste erleidet. Dann wäre auch eine komplette Niederlage gegen die Russen vorstellbar. Oder?

Ich will damit nur sagen, dass einem unbedarften Beobachter dieses Krieges eine große Offensive der Ukrainer auch als großes Risiko erscheint. Man bekommt den Eindruck, dass eine Entscheidung gesucht werden soll, die aber auch zum schweren Nachteil der Ukraine ausgehen kann.

Wäre es bei dem bestehenden Kräfteverhältnis nicht sinnvoller, die Front einzufrieren und auf Verhandlugnen zu setzen? Die Hoffnungen auf einen vollständigen Sieg könnten nämlich auch so ausgehen.

Die Ukrainer erschöpfen sich in einem lokalen Angriff irgendwo im Süden und ihre Armeen werden aus den Stellungen der Russen heraus aufgerieben. Dann finden die Russen die Kraft, noch weiter ins Kernland vorzustoßen und den Dnjpr als neue Frontlinie nach Westen zu erreichen. Schlimmstenfalls könnten sie auch Odessa einnehmen oder einkesseln und eine Verbindung bis nach Moldavien herstellen. Dann wäre es ziemlich aus mit der Ukraine.

Wir wollen es nicht hoffen und den Ukrainern viel Glück wünschen. Aber sind sie risikobewusst genug, um auch wirklich Glück zu haben?

spaulsen

One Comment

  1. Seit es „Fernwaffen“ gibt, ist dieses Prinzip bekannt. Nur sehr selten hat eine zahlenmäßig unterlegene Armee den Sieg errungen. Alexander der Große in 333 bei Issus und auch in der Folgeschlacht gegen die Perser ist so ein Beispiel. Oder Hannibal mit seiner genialen Idee der extremen Einkesselung der römischen Armee 216 v. Chr. in der Schlacht von Cannae. Die schräge Phalanx auch vom Alten Fritz erfolgreich eingesetzt oder der Blitzkrieg gegen Frankreich. Der 6 Tage-Krieg Israels. Das war es dann schon. Und diese Schlachten werden heute noch in der Offiziersausbildung gelehrt. Ansonsten ist Gott mit den stärkeren Bataillonen. Je länger der Krieg dauert um so schlechter sind die Aussichten für die Ukraine. Übrigens auch für uns.

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