Marc Brand – Die Mutter des Teufels (Fortsetzungsroman)

Fortsetzungsroman, Sönke Paulsen, Berlin

Kapitel 1

Brand erwacht an einem trüben Morgen im Dezember.  Im Zimmer ist es kalt. Maggy spart an der Heizung, die Ölpreise sind gestiegen und sie hat in diesem Jahr nicht so viel eingekauft, wie sonst.

„Es wird sonst teurer, hier zu wohnen,“ hatte sie neulich beim gemeinsamen Mittagessen gesagt. Alle müssten mehr bezahlen.

Es leben zurzeit acht Männer in der Pension. Manchmal geht einer und dann kommt wieder ein Neuer, der es nicht geschafft hat, abstinent zu bleiben. Sie leben von der Wohlfahrt und der Staat zahlt ein wenig für die Zimmer. Das Ziel ist aber, dass sie in Arbeit kommen. Nur wie? Die meisten von Ihnen sind seit Jahren ohne richtigen Job und haben mehrfach im Jahr Alkoholrückfälle.

„Eigentlich sind es hoffnungslose Fälle,“ murmelt der Agent, während er zu Waschbecken geht, um sich frisch zu machen. Im Spiegel sieht er sein faltiges Gesicht. Trotz der Kühle zieht er sein T-Shirt aus und wäscht sich den Oberkörper. Wenigstens dort hat er noch keine Falten. Sein körperlicher Zustand ist erstaunlich gut. Sein Gesicht dagegen ist alt geworden.  Oder? Der Agent betrachtet sich eine Weile. Er ist nicht wirklich alt, aber die Haut zeigt Spuren. Die           Augenlider hängen stark und geben ihm ein müdes Aussehen. Die Tränensäcke unter den Augen tragen zu dem müden und alten Eindruck bei. Das Kinn dagegen ist straff und gespannt, die Mundwinkel hängen nicht, auch dann nicht, wenn die Stimmung eigentlich schlecht ist.

„Es ist ein gemischtes Gesicht,“ denkt Brand, „eine Frage der Perspektive. Im Grunde findet er sein Gesicht ganz in Ordnung. Nur seine Stimmung ist nicht gut.

In zwei Wochen ist Weihnachten. Ihm graut davor, das Fest in dieser Pension zu verbringen. Sicher gibt sich Maggy wieder alle Mühe, die Männer in Stimmung zu bringen. Schon allein, um möglichst wenige Rückfälle zu bekommen. Aber Weihnachten ist nun einmal das Fest der Krise für jeden Alkoholiker. Das sind die Tage, wo auch die nicht Abhängigen, sich ihren Frust wegtrinken.

Brand überlegt, ob er nicht verschwinden könnte. Ein „Ticket in den Süden“ und er könnte unter Palmen liegen, den Swimming-Pool neben sich.  Sicher die bessere Wahl, als die Depression eines Weihnachtsfestes unter Alkoholikern zu ertragen. Er ist ja selbst einer.

„Ich könnte mich auf Abstinenz verpflichten und trotzdem in den Süden fliegen,“ denkt er laut, während er sich anzieht. Diese Behauptung kommt ihm unwahr vor und er streicht sie wieder. Er kann dann stabil und nüchtern bleiben, wenn er eine Aufgabe hat. Wenn er nur auf Vergnügen aus ist, kommt der Rückfall so sicher, wie das Amen in Maggys Kirche. Sie wird sie heute besuchen, denn heute ist Sonntag.

Kurz denkt er, ob er heute mit ihr gehen soll, verwirft es aber wieder. Gläubig ist er nicht.

Unten in der Loggy gibt es Porridge zum Frühstück. Die erste Mahlzeit am Tag. Dazu Kaffee. Danach werden die Aufgaben besprochen, auch am Sonntag. Maggy weiß, dass die Bewohner sich sonntags besonders am Nachmittag langweilen. Deshalb gibt es speziell für diesen Tag ebenfalls kleine Arbeiten, die zu erledigen sind.

Ab zwei Uhr nachmittags ist Küchenputz. Die großzügige Küche neben der Loggy ist Brand bestens bekannt. Es ist Maggys ganzer Stolz. Sie ist professionell eingerichtet und Brand kennt jeden Winkel, weil er überall schon mal putzen musste. Man könnte auch sagen, dass die Küche das Herzstück der Pension ist, in dem sich Maggy oft aufhält. Obwohl die Kost bescheiden ist, wird sie perfekt unter den besten hygienischen Bedingungen zubereitet. Das kommt vielleicht daher, dass Maggy und ihr damaliger Fred, mit dem sie verheiratet war, früher ein Restaurant betrieben. Als die beiden dann die Pension kauften, wollten sie die Küche zum Herzstück ihres Unternehmens machen. Leider lief es nicht besonders gut.

St. Mary ist etwas zu weit von der City entfernt und man kann nur nach London kommen, wenn man mehrere Verkehrsmittel nacheinander benutzt. Den Bus, die Bahn und den Underground. Das war den meisten Gästen zu viel. So blieb die Pension leer. Vor allem Fred konnte diese Niederlage nicht verkraften. Sein ohnehin schon beträchtlicher Alkoholkonsum steigerte sich bis irgendwann nichts mehr ging. Fred starb an einer Leberzirrhose und Maggy musste hilflos dabei zusehen. Das hat sie geprägt.

Nach Freds Tod fand sie Hilfe in der Kirchengemeinde. Irgendwann kam sie auf die Idee, Alkoholiker bei sich einzuquartieren und dafür zu sorgen, dass sie abstinent blieben. Das war der Anfang ihres neuen Business und Maggy hat sich inzwischen einen sehr guten Ruf in der Gemeinde erworben. Sie hat verstanden, was Alkoholiker brauchen. Einmal hatte sie Brand gesagt, dass sie traurig ist, es nicht schon vorher gewusst zu haben. Vielleicht hätte sie ihren Fred retten können. Aber Brand meinte, dass es sicher etwas ganz anderes sei, wenn der eigene Lebenspartner betroffen ist. Maggy hatte genickt und das Thema gewechselt. Seitdem hatten sie nicht mehr darüber gesprochen.

Maggy kann etwas, was Brand sehr schwer fällt. Sie kann verdrängen, was sie belastet oder traurig macht. Der Agent bewundert sie für diese Fähigkeit sich umzudrehen und einfach weiter zu machen. „Mind control“ nennt er das und weiß noch nicht einmal, wie man das üben kann. Vielleicht ist es ihre Religiosität, weil sie oft sagt, dass Gott es schon bestimmen wird. Dann ist auch das gravierendste Problem nicht mehr Maggys Sache, weil Gott es ja in die Hand genommen hat. „Ein verdammt guter Trick“, findet Brand und sinniert darüber, während er seinen Kaffeebecher in der Hand herumdreht. Das kann er allein mit einer Hand tun, so oft er will. Auch ein guter Trick. Aber die Sache mit dem Verdrängen ist viel nützlicher. Dann würde der Agent nicht ständig an Olga und Alexandra denken oder an Tia Nam. Alles Frauen die er verloren hat, teilweise ohne sie richtig gehabt zu haben. Ihm bleibt nur Maggy, die er mit sieben anderen Alkoholikern teilen muss.

Irgendwann kommt sie an Brands Tisch und setzt sich ihm gegenüber auf den Stuhl. Eine Weile schaut sie ihn an und lächelt dabei. Dann seufzt sie. „Na, mein lieber Bräd, grübeln Sie wieder?“ Brand muss lachen. „Sie haben es erfasst Maggy,“ antwortet er. Sie hört nicht auf zu lächeln und schaut den missmutigen Agenten weiter an. Brand ist die Sache ein wenig unangenehm, aber er freut sich, dass sich Maggy mit ihm beschäftigt. Vielleicht sind es auch diese roten Haare, die verhindern, dass der Agent weiterhin in grauer Stimmung vor sich hin grübelt. Sie sind natürlich rot, so wie man sie häufiger in Irland sieht. Maggy färbt ihre Haare nicht. Irgendwann beginnt auch der Agent dauerhaft zu lächeln. „Na Maggy,“ fragt er, nachdem er aus seiner seelischen Höhle herausgekrochen ist, „was liegt an?“

„Ich dachte, dass Sie heute mit mir in die Kirche gehen könnten,“ antwortet sie lachend, so dass auch ein paar Bewohner an den Nebentischen es hören können. So als hätte die Frau von der Hölle gesprochen, drehen sich die anderen Männer schnell weg und gehen ihren Gesprächen nach. Keiner möchte mit Maggy in die Kirche gehen. Brand denkt kurz nach. „Wissen Sie Maggy, ich habe heute nach dem Aufstehen auch daran gedacht, Sie zu begleiten. Aber dann habe ich es verworfen, weil ich nicht sehr religiös bin.“ Maggys Gesicht hat kurz zu strahlen begonnen, verdunkelt sich nun aber wieder. Brand setzt erneut an. „Jetzt aber denke ich, dass Sie mich zu einem gesellschaftlichen Ereignis eingeladen haben und ich dazu nicht nein sagen werde. Außerdem wollte ich schon immer mal eine Frau in die Kirche führen. Das ist mir bisher nie gelungen.“

Maggy beginnt schrill zu lachen. „Was für eine absonderliche Begründung, mein lieber Bräd. Wir gehen doch nur zum Gottesdienst. Aber ich muss zugeben,“ sagt sie nun leiser, „ihr kleiner Flirt gefällt mir. Auch wenn er nicht ernst gemeint ist. Ziehen Sie sich etwas Nettes an. Wir gehen gleich.“

Brand nickt und Maggy steht auf, um ihre Küchenarbeit zu beenden und sich fein zu machen. Die nächste Mahlzeit gibt es erst um 12.30, wenn sie und Brand aus der Kirche zurück sind. Alle wissen das. Der eine oder andere von den Männern möchte ihre Abwesenheit für einen kleinen Drink nutzen. Das weiß Maggy natürlich. Als sie mit Brand die Pension verlässt, sagt sie laut zu den Bewohnern, die noch in der Loggy sitzen. „Vergessen Sie nicht, meine Herren, der liebe Gott sieht alles!“

Der einzige, der diese Bemerkung nicht hört ist Benny, der mit seinen Kopfhörern allein in einer Ecke sitzt. Benny macht Maggy erhebliche Sorgen. Er zieht sich von den anderen Männern zurück und sitzt immer allein. Sie muss den gesamten Kontakt in der Pension für ihn herstellen. Er selbst zeigt keinerlei Initiative.

„Wissen Sie Bräd,“ setzt Maggy an, während die beiden langsam in Richtung Kirche gehen, „dieser junge Benny könnte wirklich eine Nummer zu schwierig für mich sein. Haben Sie gesehen, wie teilnahmslos er wieder herumsitzt?“

Brand nickt.

„Ich wüsste gern, was in seinem Kopf vor sich geht. Er wirkt so schwach und eingefallen auf mich.“

Benny sagt eigentlich nur dann etwas, wenn Maggy ihn auffordert oder wenn sie direkt mit ihm spricht. Zusammen mit den Männern hat sie ihn noch nie reden hören. Er ist groß und sehr dünn. Dabei hat er eine Frisur mit einem langen Pony, die er pflegt. Eigentlich ist er rothaarig, aber er färbt sich seine Haare regelmäßig. Er erscheint immer sorgfältig gekämmt zum Frühstück. Sein rotbrauner Pony ist sorgfältig zur Seite gekämmt, der Scheitel, wie mit einem Lineal gezogen. Dabei hat er etwas eingefallene, ängstliche Augen und einen großen Mund mit vollen Lippen, die ein wenig an Stars wie Jagger oder Belmondo erinnern. Benny dürfte nicht älter als Mitte zwanzig sein. Ein Star ist er nicht. Eher eine bedauernswerte Seele.

Brand hat den Jungen auch schon mehrfach beobachtet und sich erinnert gefühlt. Etwas an der Art von Benny ist ihm vertraut. „Ich hatte Berufskollegen, denen Benny ein bisschen ähnelt,“ sagt der Agent.

Maggy wird hellhörig. „So,“ fragt sie nach, „was waren denn das für Kerle? Ich weiß ja, dass sie einen aufregenden Beruf haben, mein lieber Bräd.“

Brand schüttelt den Kopf und lächelt. „Aufregend ist nur das, was man nicht beherrscht. Auch in meinem Beruf gibt es Routine und sehr viel Leerlauf. Man kann sich geradezu langweilen.“

Maggy schaut ihn leicht missbilligend an, weil er ihre Vorstellungen vom Leben eines Agenten durchkreuzt hat, aber sie bleibt interessiert. „Sie wollten über diese Männer reden, die ein bisschen so sind, wie Benny.“

„Ach ja,“ sagt Brand, „ich kannte welche, aber ohne sie zu kennen. Sie hatten ein gemeinsames Merkmal. Ich glaube es war Angst. Noch genauer war es Angst vor Männern, also den eigenen Geschlechtsgenossen.“

„Männer, die Angst vor Männern haben,“ sinniert Maggy, „hört man nicht häufig.“

„Doch, doch,“ sagt Brand, „das ist gar nicht so selten. Oft sind es diese schlaksigen Typen, die irgendwie schwach wirken. Sie werden auch von den anderen Männern nicht sehr geschätzt und orientieren sich eher an Frauen.“

„Meinen Sie etwa, die sind andersrum,“ fragt Maggy in ihrer naiven und direkten Art.

Brand lacht. „Das weiß ich natürlich nicht. Aber ich glaube nicht. Ich denke eher, dass sie Schwierigkeiten mit ihrer männlichen Identität haben und sich deshalb zu Frauen hingezogen fühlen,“ der Agent macht eine kurze Pause und schaut Maggy etwas provozierend an, „mit allem drum und dran, meine ich!“

„Oh,“ ruft Maggy und lacht, „ich muss also aufpassen!“

„Das müssen Sie sowieso,“ antwortet Brand belustigt, „ das müssen Sie immer!“ Der Agent hat Freude an dieser Unterhaltung, auch wenn Maggy nicht sein Typ ist. Sie ist etwas zu dick und hat eine ältliche Ausstrahlung, die ihn nicht unbedingt anzieht. Aber er liebt ihre mütterliche und fürsorgliche Art und würde es sich deshalb niemals erlauben, ihre Weiblichkeit zu ignorieren.

Kapitel 2

Es ist elf Uhr, als die beiden die Kirche verlassen. Der Pfarrer steht am Eingang und verabschiedet jeden persönlich. Als die beiden dran sind, bekommt Maggy, wie üblich, einen herzlichen Händedruck und ein paar freundliche Worte, während Brand mit einem kurzen Nicken und einem befremdeten Blick des Pastors zufrieden sein muss.

Pastor Smith hatte zuvor von der Mühsal des Lebens gesprochen, „das uns oft kalt und unfreundlich erscheint“ und hatte dabei die Stimme gesenkt, als wüsste er genau, wovon er spricht. Brand jedenfalls wusste, wovon er sprach, denn sein Leben war über weite Strecken mit einer Wüste zu vergleichen, in der er durstig war und in der es ihn fröstelte. Sein Leben war das, wovor er gelernt hatte sich in Acht zu nehmen. Keine sehr schöne Bilanz. Ihm fehlt auch dieses Licht im Inneren, wovon der Pfarrer gesprochen hatte, der Glaube, dass alles gut wird, die Hoffnung auf Jesus und ein Leben nach dem Tod. Das geht bei ihm nicht. Er kann sich nicht belügen, zumindest nicht in Kernfragen des Lebens. Da ist er nüchtern.

„Wie fanden Sie es, Bräd,“ fragt Maggy auf dem Rückweg zur Pension.

Brand räuspert sich. „Nicht ganz mein Stil, Maggy.“

„Wusste ich, Sie sind ein herzensguter Mensch, mein Lieber, aber sie bilden sich ein, ohne Hoffnung leben zu müssen.“

Brand versteht nicht ganz, was Maggy ihm damit sagen will. Er hat doch noch Hoffnung. Eine diesseitige Hoffnung. Das Leben könnte ihm noch etwas bieten, auch wenn er herbe Verluste einstecken musste. Nur eben, dass er nicht an eine Belohnung nach dem Tod glaubt. Am ehesten glaubt er, in der Erinnerung anderer Menschen weiterzuleben, aber seine Seele wird mit ihm sterben. Seine Seele ist ein verängstigter, dünner und ungepflegter Mann, dessen einzige Belohnung in Alkohol besteht. Vielleicht noch Frauen, aber die haben ihm in letzter Zeit nicht viel Hoffnung gemacht.

Brand denkt das und antwortet nicht.

Den Rest des Weges schweigen die beiden.

Als sie zurück in die Loggy kommen, sitzt Benny noch als einziger dort und hört seine Musik. Er schaut Maggy an, die etwas unzufrieden zurückschaut. Als Brand und Maggy sich trennen, flüstert sie. „Bräd, kümmern Sie sich ein wenig um den Jungen, irgendwas ist mit ihm. Er macht mich nervös.“

Der Agent hat eigentlich keine Lust, sich um junge Alkoholiker zu kümmern. Allerdings hat Maggy bei ihm einiges gut. Es scheint ihr ernst zu sein, mit der Bitte. Maggy ist selten etwas unbehaglich. Aber Benny ist ein Problem für sie, obwohl oder gerade weil er so teilnahmslos ist.

Brand nimmt sich noch einen Kaffee und setzt sich mit dem gefüllten Becher an Bennys Tisch. Er bekommt dafür einen irritierten Blick des Jungen, der weiter mit seiner Musik beschäftigt ist. „Hallo Benny,“ sagt Brand laut, so dass man es auch mit Kopfhörern nicht überhören kann. Dann lächelt er den Jungen an. „Wie geht´s?“

Benny nickt. Sein Gesicht hellt sich leicht auf. Seine grünen Augen wirken ein wenig feucht und er scheint es selbst zu merken. Er schaut nach oben und vermeidet so den Blickkontakt. Der Agent versteht augenblicklich, dass der Junge einen tiefen Schmerz in sich trägt, den er niemandem zeigen möchte. „Kannst Du mal kurz Deine Ohrhörer abnehmen,“ fragt Brand und zeigt mit dem Finger auf Bennys linkes Ohr. Der Junge versteht und nimmt den linken Ohrhörer heraus, wobei er den Agenten fragend anschaut.

Brand lächelt erneut und räuspert sich. „Weißt Du, Benny,“ sagt er, „heute ist Sonntag und ich habe keine Lust nach dem Essen Maggys Küche zu putzen. Kannst Du mir helfen, im Garten Laub wegzumachen?“

„Mit dem Laubbläser,“ fragt Benny.

„Nein,“ antwortet Brand, „zu laut! Wir nehmen die Harken und machen es auf die altmodische Art.“

Benny nickt und lächelt leicht.

Brand steht auf und nimmt seine Kaffeetasse. „Um Zwei,“ sagt er, „wir treffen uns hier. Zieh Dir was Warmes an.“

Benny nickt erneut und steckt sich den Kopfhörer wieder ins Ohr.

Brand dreht sich nochmal zu Benny um und beugt sich in seine Richtung. „Ach ja,“ meint er, „bitte ohne Kopfhörer. Es arbeitet sich besser, wenn man miteinander reden kann.“

Benny schaut Brand an. „Warum?“

Der Agent lächelt ihn nun deutlicher an. „Tu mir den Gefallen, Benny,“ antwortet er.

Der Junge zuckt mit den Schultern und nickt leicht. Brand nickt ebenfalls und bedankt sich. „Bis vierzehn Uhr also,“ sagt der Agent freundlich. Dann wendet er sich zum Gehen.

Gegen zwei Uhr ist Benny angezogen in der Lobby und Brand nimmt ihn mit in den Garten. Ein Gespräch entsteht nicht und so gehen sie schweigend zu dem kleinen Geräteschuppen. Brand holt zwei Laubharken heraus und zeigt Benny die Schubkarre, die er mitnehmen soll. Dann gehen sie an das hintere Ende des Grundstückes und beginnen mit der Arbeit.

Irgendwann hört Benny auf zu harken und schaut vor sich auf den Boden. Brand fällt es auf. „Ist was,“ fragt er den jungen Mann.

„Ich verstehe nicht, warum ich meine Musik nicht mitnehmen sollte,“ antwortet der und fingert umständlich sein Handy und seine zwei Ohrhörer aus der Tasche. Brand geht auf ihn zu und baut sich vor ihm auf. „Wenn Du unbedingt Musik hören willst, dann stell Dein Handy laut. Dann höre ich auch etwas.“

„Aber dann ist der Sound schlecht,“ meckert der Junge.

„Ja,“ ruft der Agent unwillig, „aber ich kann es dann auch hören.“

Benny sieht es nicht ein, steckt aber die Ohrhörer, die jede Unterhaltung unmöglich gemacht hätten, wieder ein und stellt das Handy laut. Die Musik ist furchtbar, aber der Rhythmus ist schön einfach. Die Bässe scheppern aus dem Smartphone, so dass Brand sich beim Harken von der Musik unterstützt fühlt. Zumindest ein bisschen.

„Weißt Du Benny, früher haben die Männer bei der Arbeit oft gesungen. Sie fanden dann einen gemeinsamen Rhythmus und so verging die Zeit schneller. Es machte sogar Spaß.“

Benny zuckt mit den Schultern. „Arbeit bringt keinen Spaß,“ antwortet er.

„Natürlich nicht,“ ruft Brand, der inzwischen einen schönen großen Haufen Laub zusammengekehrt hat, „aber die Männer mussten arbeiten. Also haben sie das Beste draus gemacht.“

Brand macht Benny ein Zeichen, dass er mit der Schubkarre kommen soll, um das Laub abzufahren. Der Junge fährt die Karre vor den Haufen und lässt sie so nachlässig fallen, dass sie umkippt. „Mist,“ ruft er, „verdammter Mist!“

„Nicht schlimm,“ antwortet Brand sofort, „stell die Karre einfach wieder hin. Dann beladen wir sie.“

Die Stimmung des Jungen ist ziemlich schlecht und der Agent überlegt, wie er ihn aufheitern kann. Während er das Laub auf die Schubkarre lädt, spürt er einen Rhythmus in sich und den Drang, ihn auszuleben. Plötzlich beginnt Brand zu tanzen. Benny steht mit offenem Mund da und betrachtet den älteren Mann bei seinen rhythmischen und geschmeidigen Bewegungen. Zuletzt tanzt der Agent einmal um seine Harke herum. Dann ist die Musik vorbei.

Benny beginnt zu grinsen. Er kann dazu nichts sagen. Es kommt ihm unwahrscheinlich vor, dass ihm ein alter Mann, das ist Brand in seinen Augen, gerade etwas vorgetanzt hat. Brand grinst auch. Er weist auf den Kompost, wohin Benny das Laub bringen soll. Der Junge tut es nun etwas weniger widerstrebend. Brand beobachtet ihn, wie er die Schubkarre in die hinterste Ecke des Gartens schiebt. Er meint zu sehen, wie er dabei mit den Schultern zuckt und den Kopf schüttelt. Brand hat gemerkt, was Benny braucht, um aus seinem Schneckenhaus zu kommen. „Ich muss den Jungen überraschen,“ sagt er für sich, „er muss lernen, dass die Welt eben doch etwas zu bieten hat. Nur Angst darf ich ihm keine machen, dann erreiche ich ihn nicht mehr.“

Als Benny mit der leeren Schubkarre zurückkommt, stellt er diese sorgfältig hin. Dann nimmt er die Harke und kehrt das Laub weiter zusammen. Brand tut das Gleiche. Irgendwann beginnt Benny leise zu summen, irgendein Lied. Dabei entsteht so etwas wie eine Atmosphäre zwischen den beiden. Schließlich harken Brand und Benny im gleichen Rhythmus. Als sie fertig sind, bedankt sich Brand für Bennys Hilfe. Der lächelt und antwortet: „Gern geschehen.“

Als Brand in sein Zimmer kommt, denkt er eine Weile nach. Vielleicht sollte er sich tatsächlich um Benny kümmern. Der Junge ist nicht schlecht. Er ist nur sehr verunsichert. Möglicherweise kann er ihm helfen.

Fortsetzung folgt