Die allgemeine Lage nach der EU-Wahl und Selenskis Beitrag dazu

(Selenskis Rede vor dem Bundestag am 11.6.2024)

Sönke Paulsen, Berlin

Man weiß nicht recht, was man von dem ganzen Rummel halten soll. Mich haben die Umstände der Ukraine-Geber-Konferenz in Berlin eher gestört. Aber die Rede des Ukrainischen Präsidenten vor dem Bundestag hat mich beeindruckt.

Natürlich muss ich hier auf meiner kleinen Seite die positiven Stimmen zu seiner emotionalen Ansprache an die Deutschen, die er kurz mit „Deutschland“ tituliert hat, nicht wiederkäuen. Aber den Boykott von Wagenknecht und der AfD, der der Rede fernblieben, weil sie in Selenski einen nicht mehr gewählten Präsidenten sehen, der den Frieden verhindere, fand ich daneben. Von der AfD habe ich es erwartet. Sie ist, wie einst die Sozis zur fünften Kolonne Moskaus geworden. Bei Sarah Wagenknecht hat es mich enttäuscht. Eine Enttäuschung, die ich wohl genau so verkraften werde, wie die ärgerlichen Absperrungen dieser Tage in ganz Berlin.

Ich kann zwar jeden verstehen, der bei der Europa-Wahl am Sonntag die AfD oder die Wagenknecht-Partei gewählt haben, aber halten wir die Dinge auseinander. Am Sonntag ging es den meisten Protestwählern vor allem um die ungelöste Migrationsfrage und in zweiter Linie um die Energiepreise, die viele auf die Klima-Ideologie der Regierungsparteien zurückführen. Das stimmt zwar nur zum Teil. Aber was überhaupt nicht stimmt, ist, dass die guten Ergebnisse dieser Randparteien eine Wählervotum für Putin waren, wie manche behaupten. So differenziert sind die Wähler noch, dass sie einem aggressiven Diktator nicht ihr Kreuzchen geben würden.

Umso schlimmer, dass diese Parteien heute so getan haben, als seine sie für ihre Russlandfreundlichkeit gewählt worden und den ukrainischen Präsidenten brüskiert haben. Es zeigt einfach, dass Politik dumm macht und irgenwann nur noch nach der nächsten Manipulationsmöglichkeit gegriffen wird, ohne Sinn und Verstand. Die Populisten sind da eher die Regel, als die Ausnahme, die Regierungsparteien allerdings auch.

Aber das wollte ich eigentlich gar nicht schreiben. Ich wollte beschreiben, wie Selenski sich mit einer charaktervollen Rede als Kämpfer für sein Land präsentieren konnte und dabei erfolgreich das Narrativ wiederholte, dass die Ukraine auch für Europa kämpft, wenn sie sich gegen den Angriff Russlands zur Wehr setzt. Dabei hat er sehr geschickt etwas aufgegriffen, was viele Leute zweifeln lässt. Er hat nämlich zum Ausdruck gebracht, dass für viele Ukrainer das Leben zur Hölle geworden ist, sie es aber ertragen, weil sie ihren Kindern ein freies Land hinterlassen wollen. Er hat also die Opferbereitschaft der Ukrainer in das Narrativ eingebracht und es dadurch verstärkt, dass es um die nächste Generation gehe, auch wenn die jetzige Generation schwer leiden muss.

Genau das ist der Schwachpunkt der Kritiker des ukrainischen Widerstandes gegen Russland. Sie betonen die vielen Toten und Verstümmelten des Krieges, die Traumatisierten und den Ruin des Landes und machen Selenski indirekt dafür verantwortlich, dass er nicht ernsthafter mit Putin verhandelt und dem Elend auf diese Weise ein Ende macht. Dafür seien eben auch Gebietsverluste der Ukraine zu rechtfertigen. Eine schwache Position einzunehmen um seinen Frieden zu bekommen. Das ist das Narrativ der AfD und von Wagenknecht.

Andere mögen das als Zersetzungsversuch betrachten, aber ich finde dass dies selbstverständlich ein Argument ist, das man den Ukrainern entgegen halten muss. Sie sterben und sterben und man fragt sich, ob diese vielen Opfer für die Aufrechterhaltung des Staatsgebietes in seiner vollen Größe gerechtfertigt sind. Ich persönlich würde mich nicht erschießen lassen, wenn Deutschland angegriffen wird, um am Ende wieder in einer geteilten und geschrumpften Form dazustehen. Wir Deutschen haben ja Erfahrungen damit, worauf Selenski auch anspielt. Allerdings würde ich, im Unterschied zu ihm, ein geteiltes Deutschland auch meinen Kindern zumuten, wenn dafür keiner von ihnen in den Krieg muss und niemand auf die schreckliche Weise traumatisiert wird, wie heute in der Ukraine.

Der Schwachpunkt meiner Argumentation ist allerdings, dass ich dann mit meinem Land von jedem skrupellosen Diktator der Marke Putin überrannt werden kann und so ziemlich alles an Unterdrückung akzeptieren muss, was mir und meiner Familie von einem solchen „A“ übergeholfen wird. Kein schöner Gedanke!

Ich will damit nur sagen, dass alle hier erwähnten Positionen zu diesem Krieg recht unattraktiv sind, was Selenski ziemlich geschickt mit dem Verweis auf eine spätere, glückliche Generation gebridged hat. Mein Kompliment. Ich würde trotzdem nicht in den Krieg ziehen.

Was wird aus Europa?

Ich finde, dass wir in Europa in einer ziemlich beschissenen Lage sind.

Wir haben durch den Brüssel-Staat eine überreglementierte Demokratie, die sich wie eine Diktatur anfühlt und gegen die viele Menschen rebellieren. Mit dem Green Deal wird das auch nicht gerade besser.

Gleichzeitig müssen wir unsere paar Freiheiten gegen einen kriminellen Mafiastaat der Marke Putin verteidigen, der tatsächlich nach Europa greift. Mal ganz abgesehen von den ganzen Mafiaorganisationen aus aller Welt, die hier inzwischen eingesickert sind und sich die Taschen füllen und unsere Kriminalität in die Höhe treiben. Auch abgesehen von den vielen Migranten, die überhaupt nie ein demokratisches System kennengelernt haben und unsere Lebensform und die Wechselbeziehungen in unserer Gesellschaft nicht im geringsten akzeptieren.

Wenn man paranoid wäre könnte man behaupten, dass wir ein überreglementiertes und erstarrtes Staatengebilde sind, welches von demokratiefremden Migranten unterwandert und von den Diktatoren im Osten angegriffen wird, wenn auch im Augenblick nur mit den Mitteln der hybriden Kriegsführung. Gleichzeitig haben wir hier jede Menge organisierte Kriminalität von Marokko über den Balkan bis Russland in der EU. Die Chinesen stehen hier mit ihren Triaden schon in den Startlöchern.

Das alles wird von einer Elite geführt, die man als ignorant bezeichnen muss, weil sie selbst längst auf dem ausschweifenden Globalisierungsball tanzen und die Nationalstaaten ohnehin zum Auslaufmodell erklärt haben.

Vielleicht wissen viele Protestwähler in Europa, die vor allem rechts gewählt haben, das nicht so genau. Aber sie scheinen es zu fühlen.

Zurück zu Selenski. Ich glaube, dass er mit seiner Rede vielen Leuten aus der Seele spricht. Sie besagt nämlich, dass man sich wehren muss. Nicht mehr und nicht weniger. Wie gesagt, ich würde mich aus pragmatischen Gründen mit Russland einigen. Aber man weiß nicht, was dann noch kommt. Putin ist in jedem Falle einer unserer Sargnägel.

Die Frage, wie man Europa unter diesen Bedingungen besser machen kann, bleibt offen. Ich vermute, dass man sich von Russland eine Scheibe abschneiden muss. Die Nationalstaaten und den Patriotismus stärken, sie militärisch besser aufstellen und die Menschen daran beteiligen und schließlich zurück zu einer nationalen Identität, was auch eine Voraussetzung dafür ist, Migranten von wo auch immer, mental zu integrieren.

Dann müssten wir die Reglementierungen für die Bürger abbauen und nicht immer nur für die Unternehmen. Es muss mehr Eigeninitiative und weniger Nanny-Staat geben. Dann weiß man auch wieder, welche Freiheit man verteidigt.

Niemand versteht übrigens, dass Unternehmen und Landwirtschaft in der EU immernoch belastende Abwässer in die Flüsse einleiten können, Wildpinkeln im Wald aber strengstens verboten ist. Das ist einfach nur noch crazy!

Schließlich müssten wir begreifen, dass wir den Klimawandel, ob menschgemacht oder nicht, kaum aufhalten können und uns auf die Dinge im Umweltbereich konzentieren, die in Wahrheit viel wichtiger sind. Stichworte sind die globale Plastikkatastrophe und das Kippen der Weltmeere. Hier wären wir vielleicht gute Vorreiter in einer Welt, die unseren Klimazielen nicht folgt, weil sie zu abstrakt und unrealistisch sind.

spaulsen

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