Martin Schulz: Placebo gegen AfD und Merkel

Foto: Martin Schulz, Twitter-Account

Sönke Paulsen, Gedächtnisbüro Berlin

Mit Martin Schulz als Kanzlerkandidat stärkt die SPD vor allem sich selbst. Eine neue Politik ist aber nicht in Sicht.

Da sollte man schon genauer hinschauen, wenn eine Partei nach der Inbetriebnahme eines Kanzlerkandidaten plötzlich in den Umfragen ein Drittel mehr Zustimmung bekommt. Der Schulz-Effekt scheint darauf zu beruhen, dass viele Deutsche dem ehemaligen EP-Präsidenten einen Politikwechsel zutrauen. Schulz selbst versucht diese Hoffnung zu füttern, wo er kann, bricht scheinbar mit der Agenda 2010 seines Vorgängers Gerhard Schröder.

Alles in allem kommt im Augenblick aber nicht mehr dabei rum, als ein verlängertes Arbeitslosengeld I, das in Wirklichkeit nicht von Schulz, sondern aus dem Hause der Arbeitsministerin Nahles kommt. Eine der wenigen verbliebenen Linken im Parteivorstand.

Ansonsten dürfte Schulz für business as usual stehen, denn Schulz ist weder ein Visionär noch ein Revolutionär, er ist ein braver Sozialdemokrat mit Neigung zu pointierter Rhetorik. Er wird der SPD des Neoliberalismus, der Globalisierung und Freihandelsabkommen und der immer gleichen Lobbys schon nichts zumuten.

Schulz wird als Ich-stark und dynamisch eingeschätzt. Tatsächlich bezog er im EP mehrfach auch unbequeme Positionen, insbesondere als es bei der letzten Wahl des EC-Präsidenten darum ging, wer eigentlich die Kandidaten setzt? Plötzlich sah sich Schulz selbst als möglichen Chef der Europäischen Kommission und es folgte die erste Wahl der Europäischen Kommission, die irgendwie demokratisch wirkte, weil es tatsächlich eine Wahl gab. Schulz oder Juncker.

Es steht allerdings zu vermuten, dass auch dieser Coup von Martin Schulz nicht viel mehr als eine Demokratie-Show war, weil von Anfang an klar war, dass Schulz bei den bestehenden Mehrheitsverhältnissen das Rennen gegen Juncker nicht machen konnte.

Man kann also darüber nachdenken, ob Schulz tatsächlich einer ist, der gewinnen will, oder ob er nicht viel mehr jemand ist, der gern Aufsehen erregt um sich hinterher, wenn er ein bisschen an der Macht gerochen hat, in den Betrieb widerstandslos einzuordnen. Schulz ist kein Führer, sondern eher ein Angestellter oder, wie seine Schwester sagt, eben auch nur ein Mensch.

Das kann man sympathisch finden, aber eben nur solange man sich nicht verschaukelt fühlt. Die Dynamik von Martin Schulz und seine angebliche Ich-Stärke, kann man auch etwas anders sehen. Schulz hat sich nicht ins Spiel gebracht, sondern wurde aufs Schild gehoben. Mit wässrig blauen Augen sagt er seitdem das, was von ihm erwartet wird. Darf als Außenseiter in der deutschen Politik die Agenda kritisieren und noch ein paar Federn im Sozialstaat als revolutionäre Wende der SPD darstellen. Alter Wein in neuen Schläuchen! 2013 ist die SPD mit der Forderung nach einem flächendeckenden Mindestlohn angetreten und hat damit die eigene Agenda korrigiert. Im Prinzip war das viel gravierender als die partielle Verlängerung des Arbeitslosengeldes, die derzeit als Wahlkampfschlager aufgelegt wird.

Was also ist dieser Schulz-Effekt?

Schulz verkauft sich als Mann des Volkes und punktet derzeit allein mit seiner Person. Wie ein Springteufel schoss er aus der alten Kiste hervor, als die SPD schon bei der K-Frage besiegt zu sein schien, weil sich kein hoffnungsvoller Kandidat abzeichnete. Die Wiederholung des Steinbrück-Desasters wollte schließlich niemand, obwohl Steinbrück eigentlich mehr für reale SPD-Politik der letzten Jahre stand, als Martin Schulz.

Nun ist die SPD ein Verein, der auf Machterhalt orientiert ist und wenn ein Kandidat hier Chancen bietet, ist es den Genossen relativ egal, wo der steht. Die Politik ändert sich dadurch schließlich nicht!

Man kommt also, angesichts einer gänzlich unveränderten SPD-Politik mit kleinen Wahlkampfakzenten, nicht daran vorbei, dass Martin Schulz eigentlich ein „Fake“ ist, einer der aufgestellt wurde, weil die Leute irgendetwas in ihm sehen, was er nicht ist. Mit diesem Missverständnis könnte er erfolgreich sein und damit einmal mehr den Wählerwillen, der Veränderungen wünscht, abbiegen.

Placebo gegen die AfD

Eines hat die Kandidatur von Martin Schulz für das Kanzleramt aber schon bewirkt. Die AfD wurde in den Umfragen geschwächt. Die Partei, die tatsächlich Änderungen will, auch wenn man sich natürlich fragen kann, wie gut oder schlecht die Veränderungen wirken, wird nun von einem Placebo in den Wahlumfragen um 2-3 Prozentpunkte gestutzt.

Dies obwohl Schulz weder die EU und die Eurokraten zurückstutzen will, noch sich in irgendeiner Form der Zuwanderungsfrage gestellt hat. Einziger Punkt, den er gemacht hat, ist, dass er erklärte, die SPD solle künftig wieder die Partei der kleinen Leute sein, seine Angel also genau in den Teich hält, in dem die AfD ebenfalls angelt.

Da dürften viele abgesprungene SPD-Wähler wieder Mut gefasst haben, sich erneut betrügen zu lassen.

Wäre die AfD durch ihre Flügelkämpfe derzeit nicht so schwach, hätte das wohl nicht so einfach funktioniert.

Merkelmüdigkeit

Die Merkelmüdigkeit der Deutschen lässt sich in Umfrage ganz gut nachweisen. Allerdings wirkt Merkel selbst müde. Der Druck, der auf ihr lastetet, eine Politik fortzuführen, die angesichts des bestehenden Globalisierungsdruckes auf auf unser Land mehr oder weniger auf “Stillhalten und Geschäftemachen” setzt,  folgt dem Paradigma, dass es schon nicht so schlimm kommen wird, weder sozial, noch national, noch bezüglich der inneren Sicherheit und dem Erhalt des sozialen Gefüges in Deutschland. Das aber bröckelt gewaltig, so dass Merkels Politik zukünftig eigentlich obsolet ist.

Nur leider ist Schulz dagegen kein Mittel. Er ist in dieser Politik des Stillhaltens ebenso verhaftet, wie die Kanzlerin und die etablierten politischen Parteien. Abgrenzungen gegen die Globalisierung, sei es in Bezug auf die EU, die Zuwanderung oder die Herausforderung durch supranationale Netzwerke von Unternehmen und Eliten, stehen dabei nirgendwo im Programm.

Hier hat allein die AfD zumindest den Willen zur Abgrenzung und bekämpft damit den Fatalismus der bisherigen Politik.

Martin Schulz ist daher nicht mehr, als ein neues Ettiket auf einem verfallenden Lebensmittel. Er soll die Haltbarkeit noch einmal für vier Jahre verlängern.

spaulsen

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