Wie der Krieg nach Russland kommen wird

Sönke Paulsen, Berlin

Greife niemals Deine Nachbarn an. Irgendwann steigen sie über Deinen Zaun und rächen sich an Dir. Ein Übergreifen des Krieges nach Russland ist nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich.

Derzeit konzentrieren die Ukrainer alle ihre Kräfte auf Verteidigung. Aber was, wenn die erste Großstadt komplett ausgehungert, zerbombt und von den Russen eingenommen wurde?

Mariupol ist hier tatsächlich ein brisanter Präzedenzfall. Denn in der fast zerstörten Stadt leben nicht nur Menschen, deren Hass gegen Russland ins unermessliche gestiegen sein dürfte, hier kämpfen auch fanatische Truppen gegen Putin.

Das Regiment Assow befindet sich dabei bereits seit acht Jahren im Kampf gegen die russischen Besatzer und wurden bisher von Kiew an der Leine geführt. Vor dem Angriff Russlands Ende Februar durften sie nicht so, wie sie konnten. Inzwischen dürfen sie. Nationalistische Soldaten, die mit einem Hass auf Russland aufgeladen sind, der bereits im Dunkel leuchtet.

Warum darüber reden?

Wie sich am Beispiel Mariupols zeigt, ist die russische Armee längst zu einem Vernichtungsfeldzug gegen die Ukraine übergegangen. Genau das rechtfertigt für die fanatisierten Teile der ukrainischen Streitkräfte einen Guerillakrieg mit Terroranschlägen und zwar auf russischem Boden.

Die Grenze zwischen beiden Ländern ist zweitausend Kilometer lang. Zu viel, um jeden Meter zu überwachen. Damit kann die asymmetrische Kriegsführung nach Russland getragen werden. Direkt um die Ukraine herum liegen wichtige russische Großstädte mit kritischer und risikoreicher Infrastruktur. In der Nähe von Kursk ein großes Kernkraftwerk, in Woronesch ein wichtiges wirtschaftliches Zentrum, in Rostov na Donu der Eingang zum Assowschen Meer und gar nicht weit davon liegt Wolgograd, das ehemalige Stalingrad. Ziele in einem Terrorkrieg, die nicht nur symbolisch bedeutsam sind, sondern die verletzliche russische Infrastruktur, sei es im Energiesektor oder wirtschaftlich und militärisch offenlegen können.

Ein paar Anschläge würden hierfür ausreichen und wären noch nicht einmal besonders schwierig auszuführen. Den rasenden russischen Bären muss man nicht unbedingt in den Kopf schießen, um ihn zu stoppen. Es reicht auch ein paar Schlagadern zu verletzen.

Mit jeder Großstadt, die Russland in seinem barbarischen Angriffskrieg gegen die Ukraine dem Erdboden gleich macht, werden unzählige Kämpfer freigesetzt, von denen ein gewisser Prozentsatz auch Russland direkt angreifen wird.

Nun sind die Russen ja oft so gestrickt, dass sie über solche Befürchtungen demonstrativ hinweglächeln. Aber leider sind die Russen in diesem Falle auch nicht sehr intelligent, was dem Land zum Verhängnis werden kann.

Geplant war ein Blitzkrieg mit wenig Opfern und nicht ein Vernichtungskrieg, welcher die Hälfte von 45 Millionen Menschen fanatisieren wird. Denn die Ukraine ist nicht Nazideutschland, die Ukraine ist ein demokratisches Land, das vollkommen ungerechtfertigt angegriffen wurde. Der Hass gegen Russland wird ins unermessliche steigen. Der Kampf gegen Russland wird noch Jahrzehnte nach der Einnahme der Ukraine fortgeführt werden.

Auch nicht bedacht wurde, dass mit dem Übergang vom Blitzkrieg zum Vernichtungsfeldzug Unmengen hochtechnisierter Waffen in die Ukraine geliefert werden, die mit jedem Tag des Krieges von den ukrainischen Kämpfern besser und professioneller beherrscht werden. Mit diesem Potential werden es die Russen auch auf dem eigenen Boden zu tun bekommen.

Die hochtechnisierten Waffen und die fanatisierten Kämpfer der Ukraine können am Ende sogar dazu führen, dass man in Moskau über lange Jahre nicht mehr sicher sein wird.

Aber bereits unterhalb dieser Schwelle ist die russische Infrastruktur marode und schlecht geschützt. Was, wenn im großen Stil Pipelines gesprengt werden, was, wenn in den trockenen russischen Gebieten Brände gelegt werden, die auf die Städte zurasen, was wenn in Russland ganze Wohnblöcke gesprengt werden und was, wenn professionelle Spezialeinheiten russische Politiker und Oligarchen ins Visier nehmen. Wie sieht es mit dem Russland, das angeblich unter den Sanktionen stärker werden will, aus, wenn analog zu den USA, Verkehrsflugzeuge gekapert und in den Kreml gelenkt werden?

Man darf Zweifel haben, ob sich die Russen vor Beginn ihres Feldzuges diese Fragen gestellt haben? Denn die Vernichtung der Ukraine war ja nicht geplant, das Rachepotenzial sollte ja nicht geweckt werden. Das passiert nun in Folge der geringen Qualität der russischen Armee, die nur mit ihrer geballten Feuerkraft in die Städte schießen kann, um den Widerstandswillen der Bevölkerung zu brechen.

Am Ende wird das Gegenteil der Fall sein und man wird sich fragen müssen, welches Land diesen Krieg überleben wird? Russland oder eben doch die Ukraine?

Aus der Ukraine kamen große Anführer, wie Nikita Chrustschow, den Putin für einen Verräter hält, weil er der Ukraine die Krim überlassen hat und die russischen Geheimdienste Stalins teilweise entmachtet hat. Das Trauma des russischen KGB. Aber Chrustschow hat lange die Sowjetunion geführt und damit auch Russland. Mal sehen, welcher Ukrainer als nächstes Russland führen wird, wenn die derzeitige Kreml-Riege und ihre Geheimdienst-Brut erledigt wurden.

Man darf gespannt sein.

spaulsen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.