Sönke Paulsen, Berlin
Wenn die „kritische“ Öffentlichkeit die Öffentlichkeit nicht mehr repräsentiert. Die Mehrheit unserer Gesellschaft will Osteuropa nicht belehren.
Es ist eigentlich eine Binsenweisheit, dass die so genannte „kritische Öffentlichkeit“ womit vor allem die Medien gemeint sind, eine Minderheit darstellt. Zwangsläufig ist es auch eine „laute Minderheit“, die sich aber dadurch legitimieren kann, dass sie für Mehrheiten in der Gesellschaft spricht.
Das war allerdings schon immer ein Streitpunkt.
Schon in den Siebziger Jahren wurde gerade den linken Medien vorgeworfen, sie würden ein verzerrtes Bild der Gesellschaft wiedergeben, die ganz überwiegend konservativ denke. Im selben Atemzug wurde dann die propagandistische Ader von eher linken Magazinen, wie „Monitor“ im ÖR oder dem Spiegel kritisiert. Beides passt auch irgendwie zusammen.
Der linke Impetus war schließlich schon in den Siebzigern auf Beeinflussung der Gesellschaft gerichtet und zwar im Sinne von sozialistischen Ideen, emanzipatorischen Bewegungen und schließlich auch ökologischen Bewegungen.
Der Vorsatz „kritische“ Öffentlichkeit ist dabei tatsächlich synonym mit „marxistische“ Öffentlichkeit. In den Siebzigern wurde alles, was links war, mit kritisch apostrophiert, nicht nur die linke Öffentlichkeit, sondern auch Teile der Wissenschaft, beispielsweise die kritische Psychologie. Kritisch konnte man eben nur sein, wenn man links war.
Man muss das nicht als Problem betrachten und man kann es sogar begrüßen. Schließlich hat unsere Gesellschaft in diesen drei erwähnten Dimensionen Fortschritte gemacht. Es wird allerdings zum Problem, wenn aus der Instanz einer kritischen Öffentlichkeit die Institution einer permanenten, linken Manipulation wird.
Auch heute ist es nämlich so, dass die Medien in der Minderheit sind und sich nur dadurch legitimieren können, dass sie für Mehrheiten sprechen. Das zwingt sie, mit ihren politischen Botschaften auch gleichzeitig die permanente Behauptung, sie sprechen für die Mehrheit, an die Öffentlichkeit zu transportieren. Eine oft sehr fragwürdige Strategie, die häufig durch noch fragwürdigere „Umfragen“ gestützt werden soll.
Im Krieg der Ideen sprechen dabei die wenigsten Ideen für sich selbst. Meist wird behauptet, es handele sich um die Meinung der Mehrheit in der Gesellschaft.
Man konnte sich im letzten Sommer wundern, wie eine Bewegung „Black lives matters“ aus den USA, wo es bekanntlich einen sehr hohen farbigen Bevölkerungsanteil gibt, mit einer ähnlichen Wucht nach Europa schwappen konnte. Der Fall Floyd, der als Farbiger die typischen Reflexe von Unruhen in den schwarzen Wohngebieten der USA auslöste, ist vollkommen untypisch für Europa. Dennoch schafften es die Aktivisten, Zehntausende auf die Straßen zu bringen (trotz der Pandemie) und wurden von den Medien dabei stark unterstützt, teilweise sogar gefeiert.
Obwohl farbige oder gar schwarze Mitbürger eine verschwindend kleine Minderheit in Deutschland darstellen, wurde der Fall Floyd auch in Deutschland als relevantes Beispiel für Rassismus dargestellt und schließlich mit den Demonstrationen ein Problem für die Massen daraus gemacht. Weit weg von der tatsächlichen Problemlage in der Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt und weit weg von der deutschen Realität.
Was da tagelang über unsere Bildschirme flimmerte, interessierte tatsächlich kaum jemanden.
War das schon ein Beispiel für mediale Manipulation?
Wenn das ein Beispiel war, zeigt es die extreme Wirksamkeit, die linke, mediale Propaganda inzwischen hat.
Problem besteht EU-weit
Aktuell wird im EU Parlament diskutiert, ob gegen östliche EU-Mitgliedstaaten, die ihren oppositionellen Medien das Leben schwer machen (explizit geht es um Ungarn, Polen und Slovenien), Sanktionen erforderlich sind. Eine Reihe von Parlamentariern fordern das ein und berufen sich auf die europäischen Werte, die in diesen Ländern verletzt werden, insbesondere den Wert der Meinungs- und Pressefreiheit. Die Artikel 7-Debatte, in der es in letzter Instanz um die Frage von Sanktionen, sogar den Entzug des Stimmrechts im Europäischen Rat geht, wird von den Medien hierzulande betont berichtet. Das „Highlighten“ solcher Debatten hat für sich genommen schon den Effekt einer Vorverurteilung der betroffenen Regierungen. Dessen sind sich die Medien bewusst, obwohl es in Europa vermutlich keine Mehrheit gibt, die sich für die ungarische Pressefreiheit interessiert.
Das breite öffentliche Interesse wird einfach behauptet und durch eine permanente Berichterstattung, welche die betroffenen Länder diskreditiert, fast schon propagandistisch erzwungen.
Was nicht berichtet wird, ist die Position der Länder, die hier in die Ecke gestellt werden sollen, die sich ihrerseits von den Einflüssen westlicher Gesellschaften in der EU manipuliert und teilweise unterwandert fühlen, wobei genau dieser Vorwurf an die westlichen Medien in der EU geht, die kräftig Netzwerke mit polnischen, ungarischen und tschechischen, slowakischen, rumänischen und bulgarischen, oppositionellen Medien bilden, um ihre Sicht der Dinge in den betroffenen Mitgliedsstaaten durchzusetzen. Teilweise wurden diese Medien auch West-Konzernen übernommen, wie das Beispiel der Axel-Springer AG in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Konzern Ringier zeigt.
Unsere Medien haben sich längst nach Osteuropa orientiert und verhalten sich dort hegemonial
In Polen gehört beispielsweise die auflagenstärkste Tageszeitung, Fakt, zum Axel Springer Konzern. Erst danach folgt die zweitgrößte Tageszeitung, Gazeta Wyborcza, eines polnischen Medienkonzerns (Agora). Auch die deutsche Mediengruppe Passauer Neue Presse unterhält eine ganze Reihe von polnischen Zeitungen, so dass von einer westlichen Dominanz im polnischen Pressesektor durchaus gesprochen werden kann.
Auch in Ungarn gibt es eine Reihe von auflagenstarken Medien (Blikk) des Axel-Springer und des Schweizer Ringier-Konzerns, die eher links orientiert sind. Das Bild einer rein konservativen Presselandschaft, die von der Regierung und ihren Sympathisanten geprägt ist, stimmt so nicht.
Im Artikel 7 des EU-Vertrages ist immer nur von einem Mitgliedsstaat die Rede, der die Pressefreiheit, die Gewaltenteilung oder andere demokratische Gepflogenheiten nicht hinreichend schützen würde, es ist nie davon die Rede, dass sich eine Gruppe von Mitgliedsstaaten gegen die politische Manipulation anderer (führender) Mitgliedsstaaten zur Wehr setzt.
Genau das ist aber der Fall.
Die Visegrad-Länder haben längst eine eigene Abteilung östlicher Mitgliedsstaaten innerhalb der EU aufgemacht und vertreten ihre Unterschiede gegenüber den westlichen, dominierenden EU-Staaten. Das ist kein Fall für Artikel 7, sondern für politische Verhandlungen! Die Drohung diesen Ländern das Stimmrecht zu entziehen, grenzt an Rausschmiss aus der EU. Das wird nicht passieren. Die Medien tun aber so, als sei dieses ein möglicher und legitimer Weg. Sie singularisieren dabei eine Staatengruppe, als handele es sich nur um einen abtrünnigen, autoritär regierten Einzelstaat ohne große politische Bedeutung, den man ruhig maßregeln könne.
Es wird auch hier nicht berichtet, sondern manipuliert.
Wenn man das bedenkt, kann man schon fast verstehen, dass sich Regierungen von Polen über die Tschechei bis Ungarn und Rumänien von den westlichen Medien bedroht und angegriffen fühlen und in der dortigen Bevölkerung der Eindruck entsteht, man solle mit anderen EU-Ländern „gleichgeschaltet“ werden. Die Medien werden dann, wie aus dem Sozialismus bekannt, als Propagandaorgane einer bestimmten politischen Linie wahrgenommen, die notfalls auch mit diktatorischen Mitteln durchgesetzt werden kann.
Das ist der politische Schaden, der von den europäischen Leitmedien, in diesen Ländern angerichtet wird.
Ist Konservativismus ein europäischer Wert?
Konservative Ideen sind in unseren Medien eigentlich nicht mehr angesagt. Wenn von europäischen Werten geschrieben wird, geht es in der Regel um liberale und neoliberale Ideen. Nicht selten werden auch linke, sozialistische und emanzipatorische Werte subsumiert. Der Konservativismus ist aber gleichwohl europäisch. Vielleicht gibt es keinen Kontinent auf der Erde, der so traditionsverbunden ist, wie Europa.
Eine zentrale Rolle spielte hier immer die christliche Tradition. Sie ist in einigen europäischen Ländern so stark, dass sie politische Umbrüche und Umwertungen schadlos überstanden hat. Die Rede ist nicht von Italien, Spanien oder Griechenland, sondern vom katholischen Polen, das nach Jahrzehnten massiver Angriffe auf das religiöse Leben der Menschen, durch den Kommunismus, schnell wieder zu seiner religiösen Identität gefunden hat.
Der Versuch, westlicher Medien in Polen die Dominanz der katholischen Kirche zu inkriminieren, wirkt auf viele Polen sozialistisch. Denn nichts Anderes haben auch die kommunistischen Regierungen in der Zeit des kalten Krieges gemacht. Damals gab es aus dem Westen viel Unterstützung für den Widerstandwillen der Polen, der gerade von christlich religiösen Grundüberzeugungen getragen war. Heute schießen auch deutsche Medien massiv gegen Positionen des polnischen Katholizismus, beispielsweise in der Frage des Abtreibungsrechtes.
Ähnliches ereignet sich in Ungarn, Tschechien, Rumänien und im orthodoxen Bulgarien. Viele Menschen in diesen Ländern erleben die westlich propagierten, so genannten, Europäischen Werte, die eigentlich nur ein ideologischer Ausschnitt aus den Werten Europas sind, als Angriff auf ihre kulturelle und sogar religiöse Identität!
Dem ist mit einer Artikel 17-Diskussion nicht im Geringsten beizukommen. Das wird als Erpressung von dominanter EU-Seite erlebt.
Intoleranz kann man nicht verbieten – das wäre intolerant!
Seit dem Erstarken eines neuen europäischen Konservativismus in Osteuropa und einer Erholung des politisch rechts stehenden Werte-Kanons, der als kultureller Gegentrend zur Globalisierung wieder vermehrt die Frage regionaler und nationaler Identität im Fokus hat, radikalisieren sich die linken Kräfte in Europa im vermeintlichen „Kampf gegen Rechts“. Die Medien in Westeuropa sind ganz vorne mit dabei und nehmen sich selbst als Verkünder der „richtigen Werte“ übertrieben ernst. Das polarisiert und spaltet Europa auch innerhalb der EU, wobei eine erfolgreiche Hegemonie in einem führenden europäischen Land eben nicht bedeutet, dass auch die anderen Gesellschaften hier mitziehen werden.
Die Visegrad-Länder machen uns das gerade sehr deutlich, dass die Positionen deutscher und anderer westeuropäischer Medien in Bezug auf Werte, auch auf die Auffassung über demokratische Werte, nicht in der Mehrheit dieser Gesellschaften im Osten geteilt werden. Sie grenzen sich ab und sie schlagen auch zurück, begrenzen unseren direkten medialen Einfluss im eigenen Wohnzimmer. Das ist ihr gutes Recht, auch wenn sie konservative Positionen halten, die uns nicht schmecken.
Besonders verbohrte Ideologen in unserer Medienlandschaft versuchen nun die geringere Toleranz gegenüber sexuellen Minderheiten, um ein Beispiel zu nennen, in diesen Ländern innerhalb der EU als illegal darzustellen und quasi zu verbieten.
Man kann aber Intoleranz nicht verbieten, obwohl der Vorstandvorsitzende des Springer-Konzerns, Döpfner, genau dies in seiner Interviews und Sonntagsreden gerne behauptet, weil er sich damit im Mainstream wohler fühlt. „Null Toleranz für Intoleranz“ ist zwar ein effektvoller Spruch, entbehrt aber jeder Logik, was für linke Ideologen auch nicht untypisch ist. Bereits in der DDR wurden Völkerfreundschaften verordnet, ein Internationalismus gefordert und Intoleranz gegenüber Ausländern offiziell verboten. Die Unlogik besteht natürlich darin, dass der Gedanke der Toleranz nur auf Freiwilligkeit basieren kann, weil man sonst nicht von Toleranz reden kann, höchstens von Zwang.
„Null Toleranz für Intoleranz“, eine beliebte Allzweckwaffe unserer Medien und mancher Politiker ist also eine Anleihe aus der DDR-Diktatur und führt ihrerseits auf die diktatorische Schiene. Es ist schlicht nicht vorstellbar, dass sich in den osteuropäischen Ländern für eine solche fadenscheinige Phrase eine mehrheitliche gesellschaftliche Zustimmung finden lässt. Stattdessen wird uns infolge einer solchen Propaganda, Doppelmoral vorgeworfen. Nicht ganz zu unrecht.
Tatsächlich hat sich dieser Kampf-Slogan zu einer der häufigsten Zensurgründe in den Medien und im Internet entwickelt. Beiträge werden also zensiert, was bedeutet, dass sie nicht veröffentlicht oder nach Veröffentlichung gelöscht werden, wenn diese, scheinbar, intolerante Positionen enthalten! In Wirklichkeit ist das ein linkes Chiffre für konservative Positionen jeder Art und eine Methode, konservative Äußerungen per Diktat vom öffentlichen Diskurs auszuschließen.
Das wird auch im Osten Europas deutlich so wahrgenommen!
Diese Entwicklung ist durchaus beunruhigend, weil sie zur Spaltung der EU in zwei Wertelager führt, die jeweils im Westen und im Osten zu verorten sind. Das führt dann nur sehr euphemistisch ausgedrückt zu einem Europa der zwei Geschwindigkeiten. Tatsächlich muss schon von zwei verschiedenen Europas sprechen, dem östlichen eher konservativen und dem westlichen links-liberalen Europa.
Unsere Medien befinden sich hier längst im Kampfmodus, was in den Visegrad-Ländern nicht unbeantwortet bleibt. Man fühlt sich mit seiner eigenen Gesinnungsethik wohler, als mit einer allgemeinen Verantwortungsethik für den Zusammenhalt der EU.
Auch viele Bürger in den westlichen Ländern merken das und entwickeln eine zunehmende Distanz zu den eigenen Medien. Diese haben sich in ihrer eigenen Welt so komfortabel eingerichtet, dass sie ihre Aufgabe vor allem darin sehen, bestimmte Meinungen als alternativlos zu propagieren und die eigentliche Aufgabe, Diskussionen an die Öffentlichkeit zu bringen, immer mehr vernachlässigen.
Das war besonders schmerzhaft im Verlauf der Pandemie zu spüren. Gegenposition zu der aktuellen fast diktatorisch wirkenden Politik wurden einfach nicht berichtet oder aber diffamiert.
Deutschland befindet sich am Angelpunkt zwischen West und Ost
Eine sensible (sensibel für die anderen und nicht für sich selbst ist gemeint) Positionierung gegenüber den östlichen Nachbarn stünde Deutschland eigentlich an. Unsere Medien beachten das immer weniger und führen sich in Osteuropa hegemonial auf. Dies obwohl wir als Angelpunkt zwischen West und Ost eigentlich eine Vermittlerrolle haben müssten. Deutschland, mit seiner „kritischen“ Öffentlichkeit wird damit eher zum Hindernis, als zur Quelle einer europäischen Einigung.
Allein das ist ein guter Grund konservative Medien, Denkungsweisen und Politiker in unserem Land zu unterstützen, damit wir wieder zu einer Kraft werden können, die Europa eint und nicht spaltet.