Wirtschaftssanktionen erreichen oft das Gegenteil

Sönke Paulsen, Gedächtnisbüro Berlin

Warum wirtschaftlicher Druck nicht gegen autoritäre Systeme hilft

Die Sanktionen gegen Russland wegen des Anschlusses der Krim an die russische Föderation gehen jetzt in das vierte Jahr. Dabei werden sie nicht nur fortgesetzt, sondern wurden in den letzten Jahren auch immer wieder verschärft und ausgeweitet. Zuletzt hat der scheidende Präsident Obama noch einmal ein paar russische Unternehmen, Oligarchen und einflussreiche Personen im Januar in verschärfte Sanktionen eingeschlossen. Grund war die Annahme, dass Russland sich in den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf eingemischt hat.

Aber das ist noch nicht alles. Kiew übt über wirtschaftliche Blockaden massiven Druck auf die Separatistengebiete im Osten aus, die dortigen Führer sind mit Sanktionen der EU und der USA belegt und  ähnliches gilt für die Krim.

Weltweit werden Sanktionen eingesetzt, um autoritäre Systeme zur Raison zu bringen

Russland hat Sanktionen gegen die Türkei verhängt, die derzeit noch nicht vollständig aufgehoben sind, es gibt Sanktionen der EU, die bereits gegen die Türkei laufen. Dazu gehören die inoffiziell ausgesetzten Beitrittsverhandlungen zur EU, noch nicht fließende Hilfszahlungen im Rahmen der politischen Entwicklungsarbeit und im Rahmen des so genannten Türkei-Deals, eine nicht realisierte, wenn auch angekündigte Visafreiheit für Türken im Schengen-Raum. Es dürfte nicht lange dauern, bis die EU echte Wirtschaftssanktionen gegen das Regime Erdogans verhängt.

Auch gegen Assad in Syrien gibt es seit Längerem Sanktionen, Gaddafi in Libyen war ein treuer Abonnent westlicher Sanktionen und der Iran sowieso.

Dazu kommt Nord-Korea, das außer von China von fast allen Staaten der Erde sanktioniert wird. Die Geschichte der Wirtschaftssanktionen, die in die Fußstapfen der großen Wirtschaftsblockaden während der und nach den beiden großen Weltkriegen getreten sind, den Kalten Krieg begleiteten und den Krieg gegen den Terror ergänzen, ist damit noch lange nicht erzählt.

Aber eines lässt sich ohne weiteres feststellen.

Wenn Sanktionen autoritäre Systeme zum Einlenken oder gar in die Knie zwingen sollen, dann sind sie unwirksam. Selbst wirtschaftlich so labile Länder, wie Weißrussland, haben unter den Bedingungen von Wirtschaftssanktionen und wirtschaftlicher Deprivation ihren Diktator, in diesem Falle Lukaschenko, nicht abschütteln können.

Autoritäre Systeme scheinen desto immuner gegen Wirtschaftssanktionen zu werden, je autoritärer sie sind.

Der Iran scheint sich nach Jahrzehnten der Sanktionen des Westens nur deshalb auf eine Verhandlungslösung zur Atomwaffenfrage eingelassen zu haben, weil dort breite neoliberale Eliten an die Macht gekommen sind, die sich ausgerechnet aus den Reihen der ehemaligen Revolutionsgarden gebildet haben. Der Geschmack am westlichen Wohlleben kam dabei für die Revolutionswächter in erster Linie trotz und nicht wegen der Sanktionen, die das Land auch von westlichen Importen isolierten.

Dennoch stellt der Iran eher einen Sonderfall dar, wie wohl das Land bewiesen hat, dass man Sanktionen jahrzehntelang wiederstehen kann.

Aktuell zeigt sich in der Sanktionsfrage allerdings eine etwas andere Dynamik, als im Falle des Irans. Autoritäre Herrscher und Regierungen, die mit Sanktionen belegt werden, streben danach eher eine Eskalation der feindlichen Beziehungen zu den bestrafenden Ländern an, als vor der Sanktionierung.

Für Beispiele in dieser Hinsicht muss man nicht nach Nordkorea reisen. Auch Weißrussland und die Russische Föderation haben sich so verhalten. Der Ton wird kämpferisch bis kriegerisch und man betont die eigene Unabhängigkeit von den sanktionierenden Staaten.

Das gleiche wäre bei Sanktionen gegen die Türkei zu erwarten, zeigt sich aber auch im Kleinen bei Sanktionsdrohungen gegen die polnischen Nationalisten unter Kaczynski. Die Reaktanz der Betroffenen steigt bereits bei Androhung von Sanktionen erheblich an!

Bei autoritären Regierungen und Regierungschefs ist dabei vor allem eine Art Wettlauf zu beobachten. Je näher die Eskalation der Beziehungen an Sanktionen heranrückt, desto heftiger verschärfen autoritäre Führer ihren Kurs.

Vordergründig könnte man denken, dass Leute wie Putin oder Lukaschenko, jetzt auch Erdogan die Verhängung von Sanktionen bereits im Vorfeld als völlig aussichtslos darstellen möchten, weil sie ohnehin ihren politischen Kurs (Beispiel Einschränkungen der Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Demokratie oder Zivilgesellschaft) fortsetzen werden.

Dahinter vollzieht sich aber noch ein ganz anderes und wesentlich wirksameres Spiel, mit dem Autokraten Sanktionen sogar zu ihren Gunsten nutzen können. Sie eskalieren die Beziehungen zu den sanktionierenden Ländern derart heftig, dass sie ihre eigenen Anhänger und nicht selten (siehe Putin) ihr ganzes Land hinter sich versammeln können, um dann auch massive wirtschaftliche Einbußen und Verschlechterungen der Lebenssituation im eigenen Land durch eine Art nationaler Bedrohung, die jeden Notstand rechtfertigt, zu erklären. Wenn alle gegen das eigene Land sind, muss das Volk halt um seine bloße Existenz kämpfen. Da spielen Job und Kaufkraft die nachgeordnete Rolle.

Besonders brisant wird diese Art des Eskalations-Wettlaufes dann, wenn militärische Bedrohung ins Spiel gebracht werden kann. So konnte Russland sich auf ein Heranrücken der Nato an seine Grenzen berufen, so dass die Wirtschaftssanktionen einfach als Krieg mit anderen Mitteln interpretiert werden konnten.

Erdogan hat mit dem versuchten Militärputsch und der Nato-Mitgliedschaft einen ähnlichen Joker in der Hand. Er kann darauf verweisen, dass die Türkei beinahe einem Militärputsch zum Opfer gefallen wäre und die Nato-Mitgliedschaft eine militärische Präsenz der eventuell sanktionierenden Länder bedingt, die dann als zusätzliche Bedrohung interpretiert werden kann.

Im schlimmsten Falle kann das dazu führen, dass die Türkei im Sanktionsfalle, ausländische Truppen von Natoverbündeten im Land festsetzt und isoliert, vielleicht sogar als Faustpfand gegen die sanktionierenden Staaten benutzt.

Sanktionen provozieren also eine Verschärfung in der autokratischen Gangart vieler Regime und zwingen diese eben nicht in die Knie!

Am Beispiel Russlands sieht man bereits, dass Sanktionen dazu geeignet sind ein großes Land in die Kontraktion zu treiben, in der es über Jahre verharren kann, wenn es sich nur hinreichen angefeindet und bedroht sieht.

Nazideutschland hat bewiesen, dass es ab einem bestimmten Grad von Diktatur dann kein Zurück mehr gibt. Das Volk lässt sich dann sogar einen totalen Krieg diktieren und schreitet voran zur absoluten Selbstvernichtung!

Die Frage ist also, warum wir trotz deren offensichtlichen Wirkungslosigkeit, ja sogar Toxizität, im Westen immer wieder zu Sanktionen greifen?

Ein Argument ist, dass es sich um die einzige Möglichkeit handele, andere Staaten unter Druck zu setzen, wenn man nicht militärisch intervenieren möchte.

Ein anderes Argument ist, dass man durch gezielte Sanktionen gegen Personen und Unternehmen die Eliten eines Landes spalten könne. Beides hat bisher lediglich im Falle des Irans funktioniert, ein anderes erfolgreiches Beispiel ist nicht bekannt.

Das Argument, das am häufigsten unerwähnt bleibt, aber wohl entscheidenden Anteil an der Verhängung westlicher Sanktionen gegen missliebige Regierungen hat, ist der Zusammenhalt und die Disziplin im eigenen Lager.

So haben die USA längst die Drohkarte gegen Abweichler bei Sanktionen im Spiel und sanktionieren ihrerseits Firmen und verbündete Staaten, wenn diese trotzdem unerlaubte Wirtschaftkontakte mit sanktionierten Regierungen unterhalten.

Hier liegt wahrscheinlich der Hase im Pfeffer. Die westlichen Länder bilden strikte Allianzen, die deren Zusammenhalt gegen autokratische Regierungen erzwingen. Die Sanktionen sind zwar gegenüber den sanktionierten Regierungen wirkungslos, aber nicht gegenüber denen, die man zu Sanktionen bewegt oder gar gezwungen hat.

Letztlich ist die Frage, ob man durch intensive, wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht viel mehr erreichen kann, eben auch eine Alternative zu Sanktionen, mit denen man kaum etwas erreicht.

Die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen dem Westen und der damaligen Sowjetunion war zum Zeitpunkt des Zusammenbruches der Sowjetunion nicht auf dem Tiefpunkt, sondern auf dem Höhepunkt angelangt.

Die vom Westen erheblich unterstützte, wirtschaftliche Prosperität Chinas hat zu Lockerungen im System geführt, die vorher niemand so erwartet hätte. Auch der allmähliche Zusammenbruch der europäischen Diktaturen in Spanien und Griechenland dürfte eher eine Folge der wirtschaftlichen Prosperität in Europa, als von Wirtschaftssanktionen gewesen sein.

Wenn man sich das überlegt, kann man eigentlich nur zu einem Schluss kommen. Finger weg von Sanktionen gegen die Türkei, Aufhebung aller Sanktionen gegen Russland und Weißrussland. Letztlich wäre auch Aufhebung von militärisch nicht relevanten Sanktionen gegen Nordkorea zu überlegen, da Isolationspolitik letztlich nur einem in die Hände spielt: Kim Jong Un!

spaulsen

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