Rechts liegen lassen war wohl nicht die beste Lösung


Sönke Paulsen, Berlin

Donald Trump hat spätestens seit Corona in den USA wütet, so gravierende Fehler gemacht, dass er im Herbst kaum wiedergewählt werden dürfte. Das Virus ist nun mal ein Virus und keine Kampagne des politischen Gegners, die man mit starken Worten bekämpfen kann.

Überhaupt hat Corona dazu geführt, dass manche rechte Autokraten jetzt politisch stark angeschlagen sind. Bolsenario in Brasilien gibt ein weiteres Beispiel.

Die Rechten konnten auch in Europa mit Corona nicht recht punkten, obwohl ja eigentlich das eingetreten ist, was sie jahrelang propagiert haben. Geschlossene Grenzen, starke Ordnungsstaaten in Europa.

Vielleicht konnten sie auch deshalb nicht punkten, weil allen plötzlich klar geworden ist, wie einschneidend das Verweilen im nationalen, vielleicht sogar lokalen Lebensraum eigentlich ist. Oberwasser bekamen aber auch nicht die Liberalen, die traditionell die Bürgerrechte in Europa hüten, sondern lediglich die europäischen Grünen.

Ihre Ideen erschienen plötzlich greifbar! Die Welt ging nicht unter, als achtundneunzig Prozent des Flugverkehrs plötzlich ausfielen, der Himmel auch über den Metropolen aufklarte und für viele so etwas wie himmlische Ruhe eintrat. Viele hätten sich, mit dem nun folgenden europäischen Konjunkturprogramm, mehr grüne Akzente gewünscht.

Der Aufwind für grüne Ideen ist unverkennbar, auch wenn grüne Parteien in Europa mit Vorsicht zu genießen sind. Sie machen leider auch auf anderen Politikfeldern mit und haben dort eher schädliche Einstellungen. Besonders außenpolitisch führen grüne Programme entweder zum Krieg mit Russland oder zum europäischen Untergang wegen ungehemmter Migration, wenn sie eins zu eins umgesetzt werden.

An die Anhänger der Grünen in Europa sei adressiert: Es handelt sich nicht um reife, politische Parteien, sondern um stark ideologisierte Bewegungen, die auch heute noch schnell in den Extremismus abdriften können.

Extremismus ist ein weiteres, generelles Thema auf der Welt.

Es wird ständig vergessen, dass die neue Rechte in Europa in dem Maße Oberwasser bekam, wie die bürgerlichen Linken politisch versagt haben. Auch Macron der in der Folge eines sozialistischen Präsidenten an die Macht kam, war Mitglied in Hollands Regierung und zumindest formal Sozialist. Die Etablierung der Bürgerlichen Linken in Zeiten der Globalisierung hat vielerorts zu Meritokratien geführt, wie man es in Frankreich nennt. Das führte dazu, dass ein Teil der Gesellschaft sich von einem übrigen Teil abkoppelte, um zusammen mit den Reichen und Superreichen von den Wohlstandszuwächsen der Globalisierung profitieren zu können.

Genau diese Abkoppelung, einer als Elite verstandenen und selbstverstandenen Schicht, führte in vielen europäischen Ländern und vor allem auch in den USA zu einer unzufriedenen politischen Klasse der Abgehängten, die sich nach rechts orientierte.

Deshalb stellt sich jetzt die Frage, wie es weitergehen soll?

Denn, wenn Joe Biden die Präsidentschaft in den USA holt, wovon man ausgehen kann, ist das eben doch nur die Neuauflage der Situation, die zur Verschiebung des politischen Fensters nach rechts geführt hat. Wo sind die Lösungsansätze der Democrats und Liberals in den USA? Weit und breit keine Spur davon. Bidens Wahlsieg würde allein auf dem eklatanten Versagen von Donald Trump beruhen.

Etwas komfortabler ist die Lage in Europa.

Mit Macron und Merkel sind zumindest zwei führende Politiker vorhanden, die den Sozialismus im Ansatz mitdenken, wenn sie Europa nach vorn führen wollen. Auch wenn Macron mit den Gelben Westen und Merkel mit der AfD und ihren Bewegungen eine gewisse Offenlegung hinnehmen mussten, die gezeigt hat, dass die soziale Attitüde beider Politiker deutliche Grenzen hat und der Einfluss der Meritokratie und des Kapitals gewaltig ist, haben sie verstanden, dass es nur ein soziales Europa geben kann, oder eben keines. Die Völker sind zu divergent, als dass sie sich ohne handfeste soziale Vorteile unter einem Dach halten ließen.

Wer das in den europäischen und auch der amerikanischen Zivilgesellschaft nicht begriffen hat, sind die NGOs, die lediglich Kampagnen gegen rechts fahren, aber keine einzige politische Idee entwickeln, wie man Menschen vom rechten Rand wieder abholen könnte. Der Kampf um politische Präsenz steht dabei für soziale, kirchliche und Umweltorganisationen ganz im Vordergrund. Diese Organisationen richten sich, ähnlich der bürgerlichen Meritokratie, vor allem an die Macht. Es gibt von den zwanzigtausend deutschen NGOs kaum solche, die sich mit Heimat, Vaterland oder Nation identifizieren, was auch ihr politisches Aus in Berlin bedeuten würde.

Kurz, die betroffenen Schichten, die sowohl in den USA Trump an die Macht gebracht haben, als auch in Europa die rechten Parteien massiv gestärkt haben, wurden von den Regierungen, der bürgerlichen Meritokratie, als auch von der Zivilgesellschaft, den NGOs, komplett rechts liegen gelassen und somit politisch nur von den rechten Parteien bedient.

In dieser Hinsicht ist keine gesellschaftliche Korrektur in Sicht, weshalb es auch nach Corona mit dem Rechtstrend weitergehen wird. „Nazis watschen“ ist überhaupt kein Lösungsansatz und führt bestenfalls in die weitere Polarisierung und schlimmstenfalls in eine neue Weimarer Republik, in der sich rechte und linke Kräfte Straßenschlachten lieferten und sich auf diese Weise paramilitärisch so gut organisierten, dass sie am Ende auch zu Putschversuchen gegen die Regierungen in der Lage waren.

Anschließend noch ein Wort zur Bundeswehr und zum Rechtsextremismus. Die Bundeswehr hatte immer eine leichte Tendenz in die politisch rechte Ecke. Allerdings hat der Charakter der Truppe als Vaterlandsarmee, die zur Verteidigung aufgestellt wurde, eine allgemein legitimierte, politische Mitte in der Armee zur Folge. Als Wehrpflicht-Truppe befand sie sich auch in der Mitte der Gesellschaft und wurde erst durch den Funktionswandel als internationale Armee und als reine Berufsarmee in Legitimationsnot getrieben. Genau diese Legitimation wird nun in pervertierter Form bei den Eliteeinheiten aufgedeckt. Da es keine politische Mitte in der Armee mehr gab, versteht sich von selbst, dass extremes Gedankengut von rechts hier die Lücke gefüllt hat.

Auch bei der Bundeswehr war rechts liegen lassen, ein Fehler. Natürlich wird er nicht eingestanden und eine Wiedereinführung der Wehrpflicht, wie jüngst von Eva Högl angeregt, würde eine ganze Generation von Wählern vergraueln. Keine der Parteien, die sich im harten Konkurrenzkampf befinden, würde sich dieses politische Harakiri leisten, ausgenommen die AfD natürlich.

Womit man bei der Generationenfrage angekommen ist.

Wer vor allem rechtskonservative Trends in den letzten zehn Jahren diskreditiert und nicht verstanden hat, war natürlich die gesellschaftliche Gruppe, die sich gut eingerichtet hat und es mit ideologischer Festigkeit zu einer anständigen Machtposition in den westlichen Gesellschaften brachte.

Hilary Clinton war ein Paradebeispiel dieser Schicht, die in den bewegten Zeiten der sechziger und siebziger Jahre ihr politisches Verständnis erwarb. Da es für viele dieser Leute das einzige mögliche Verständnis ist, kann es auch keine Kompromisse für sie geben. Es geht um richtig oder falsch, gut oder böse, um links oder rechts eben.

Aber Clinton ist gescheitert!

Ein etwas anderes und jüngeres Beispiel gibt der französische Präsident ab. Macron war ein Linker unter Vorbehalt und ist nach dem Scheitern der Sozialisten zum Pragmatiker der Macht geworden. Merkel, seine deutsche Partnerin war schon immer Pragmatikerin der Macht.

Beide Politiker haben erhebliche Anteile auch bei der jungen Generation, die anders tickt, als die Generationen davor. Man muss anerkennen, dass die heute Dreißigjährigen demokratische Grundüberzeugungen in sich gefestigt haben, wie keine andere Generation vor ihnen. Sie gehen selbstverständlich auf die Straße und gehen gleichzeitig mit der menschlichen Kälte und Brutalität der Hyperkonkurrenz in unserem heutigen Kapitalismus ebenso selbstverständlich um.

Sie sind freundlich, wie keine andere Generation vor ihnen und gleichzeitig zu vollkommener sozialer Kälte in der Lage. Sie sehen durchaus Chancen für sich, aber gleichzeitig auch sehr nüchtern die Grenzen, die sich vor ihnen auftun. Ich erinnere mich an Gruppen, mit denen ich zu tun hatte, die ohne weiteres über den sozialen Tod sprachen, als sei es ein natürlicher Tod, der jeden ereilt, der sich außerhalb unserer Werteordnung stellt.

Fast totalitär klangen solche Äußerungen für mich, wenn Studenten über politisches Fehlverhalten ihrer Kommilitonen sprachen. Sie bildeten damit, während unseres gemeinsamen Studiums der Zukunftsforschung (ich war ein älteres Semester, das noch mal studieren ging) ihr kapitalistisches Weltverständnis ab, das vom gnadenlosen Kampf um Jobs geprägt war. Wer sich in der Wirtschaft nicht anpasst, ist sofort draußen. Das haben die jungen Pragmatiker der Macht wirklich verinnerlicht.

Rechts liegen lassen, ist auch dieser Reflex, Menschen mit anderen Meinungen schlichtweg rauszuschmeißen. Es kommt aus der Wirtschaft. Wer sich dem Unternehmen gegenüber nicht loyal zeigt, muss gehen! Sozialer Tod!

Auf politische Verhältnisse umgemünzt, versteht sich von selbst, dass aus der ideologischen Schlacht längst der Pragmatismus der Macht geworden ist. Wer sich nicht anpasst, muss gehen. Das gilt genauso für politische Parteien, Insitutionen und die vielen NGOs, die sich eine oft nicht legitime Macht in unserer Gesellschaft angeeignet haben. Der Kit, der das alles zusammen hält ist eine Formelsammlung aus der Zeit der Kulturumbrüche in Westeuropa und den USA in den sechziger und siebziger Jahren. Diese Formelsammlung, die die Spaltung zwischen arm und reich, den Turbokapitalismus und die Globalisierung nicht im geringsten entschärft, ist dennoch der Konsens derjenigen, die sich im System behaupten wollen. Die politische Korrektheit ist hier nichts anderes als eine Dresscode derjenigen, die mitspielen wollen.

Wer diesen Dresscode nicht einhält, erleidet den sozialen Tod.

Eine sympathische und melancholische Schilderung seines sozialen Todes bei der Süddeutschen Zeitung gibt der Journalist und Schriftsteller, Birk Meinhardt, in seinem Buch „Wie ich meine Zeitung verlor.“

Inzwischen betrifft die Hegemonie der alten Linken und der jungen Pragmatiker der Macht aber nicht mehr nur unseres Gesellschaften. Ganze Länder werden rechts liegen gelassen und ausgegrenzt. Es bilden sich neue Blöcke der „Nicht-Mitspieler“, die zunehmend selbstbewusst geworden sind. In Europa sind das zweifellos die Visegrad-Staaten, im Osten sind es Russland und China, die ohnehin noch nie mitgespielt haben. In Südamerika sind es Venezuela, Ecuador und Brasilien und schon immer Cuba, die nicht mitspielen. In Nordamerika aber sind es die Vereinigten Staaten, zumindest zu ihrer Hälfte betrachtet.

Denn machen wir uns nichts vor. Auch die USA spielen nicht mehr mit, auch wenn Trump als Präsident inzwischen so versagt hat, dass selbst die eigenen Anhänger Schwierigkeiten haben, ihn wieder zu wählen.

Jo Biden aber würde der rechteste der demokatischen Präsidenten in den letzten dreißig Jahren werden. Auch in seiner Präsidentschaft würden die USA nicht mehr mitspielen.

Werden wir dann auch die USA rechts liegen lassen? Werden die europäischen Transatlantiker mit Biden glücklich werden? Wohl kaum, denn auch sie haben den Dresscode verinnerlicht, der jetzt aufgebrochen wird.

Im knallharten globalen Wettbewerb gewinnen die Pragmatiker der Macht. Vielleicht eher die Smarten, wie Bezoes und Musk, wie Macron und Merkel, aber nicht die Moral. Keine Moral zumindest, die einigermaßen glaubwürdig ist.

Das Problem ist, dass wohlhabende Weiße für arme Schwarze auf die Straße gehen, um ihre politische Identität zu stärken und Hegemonie im Sinne von Macht auszuüben, um sich einander zu vergewissern. Sie gehen aber nicht auf die Straße um etwas zu ändern.

Ändern können ethnische Gruppen, die diskriminiert werden, nur höchstselbst etwas. Solange sie sich von den wohlmeinenden Protesten der weißen Oberschicht unterstützen lassen, bleiben sie Sklaven ihrer unterpriviligierten Situation.

Das ist seit jeher das Problem mit mentalen Dresscodes, dass sie eben nur Partytiefe erreichen, Wer wirklich nachdenkt, kommt zu ganz anderen Schlüssen.

Dafür aber muss man eben auch offen für diejenigen sein, die nicht mitspielen und ihre Gründe und Argumente verstehen.

Da fehlt in unseren Gesellschaften leider alles, damit ein solcher Fall in nennenswertem Umfang eintreten könnte.


spaulsen

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