Von der Unmöglichkeit ein Linker zu sein

Sönke Paulsen, Berlin

Linke Politik ist eigentlich eine durchgängige Lüge. Mir kam es schon in Siebzigern so vor, dass etwas nicht stimmte. Wir hatten, obwohl wir Sozialisten waren, ständig dieses Problem mit dem real existierenden Sozialismus nebenan. Er passte nicht zu unseren bürgerlich liberalen Vorstellungen, die fehlende Freiheit in der DDR drückte auf´s Gemüt.

Aus heutiger Perspektive betrachtet, kann man sagen, dass so gut wie alle linksstehenden Politiker und Medienmacher den Sozialismus bei sich abgeschafft haben. Der eine oder andere pflegt noch diesen Traum, aber eher heimlich.

Stattdessen haben die meisten Linken zum lifestyle Kapitalismus Zuflucht genommen, der zwar unter dem Gesichtspunkt der sozialen Gerechtigkeit völlig abgefuckt ist, einem aber das Gefühl gibt, trotzdem „in“ zu sein. Denn das war ja auch die treibende Kraft in den Siebzigern. „In“ sein und dazu zuzugehören.

Das Problem liegt heute wiederum darin, dass auch das Establishment „in“ ist und eigentlich jeder ohne besondere moralische Anstrengung dabei sein kann, wenn er bestimmte Aussagen und Reizworte vermeidet. Dabei wird der Katalog der politischen Korrektheit fast täglich neu überarbeitet und weitergeschrieben. Der Fortschritt besteht also hauptsächlich darin, die politischen GO´s und NOGO´s schnell zu erfassen und in sein Mindset zu integrieren. Ansonsten kann man so elitär und luxuriös leben, wie man möchte.

Bei gleichzeitiger allgemeiner Ablehnung des Prekariates in der linken Szene stellt sich natürlich die Frage, was überhaupt noch links ist im allgemeinen kapitalistischen Wettbewerb, den auch die linke Hälfte unserer Gesellschaft voll mitspielt.

Ich kann nichts linkes mehr finden, was umso bedauerlicher ist, weil sich die progressiven Schichten in unserer Gesellschaft ja, seit Adorno, Horkheimer und Co, selbst als revolutionäres Subjekt sehen. Derzeit kämpfen allerdings die Linken in Medien und Politik um die Erhaltung des Status quo, was so ziemlich das Gegenteil von Revolution ist. Bestenfalls könnte man noch behaupten, dass eine rechte Konterrevolution abgewehrt werden muss.

Eine nette Behauptung, ja, wenn man ein paar Neonazis, die es schon immer gab und die AfD, die derzeit bei zehn Prozent dümpelt, zur rechten Revolution zusammenfassen möchte. Natürlich steckt hauptsächlich wieder das böse Prekariat dahinter, die bildungsferne Schicht, die sich nicht politisch korrekt benehmen kann und auch ansonsten nur herumloosert.

Vergessen wird dabei gerne, dass es sich hier um die Reste des Proletariates handelt, das man nun von links der Gesellschaft als revanchistisch, faschistisch, rassistisch und neonazistisch tituliert. Nichtsnutzig habe ich noch vergessen.

Also fassen wir kurz zusammen.

Für die heutigen Linken, die mit Sozialismus nichts mehr am Hut haben, ist das Ex-Proletariat der eigentliche Feind. Wo bitte soll dann links sein??

Vielleicht bei den Grünen?

Vielleicht hat die linke Position in der Gesellschaft einfach nur die Farbe gewechselt und ist nun grün geworden?

Eine saubere Umwelt wollen wir alle. Aber wer das Parteiprogramm der Grünen durchforstet findet wesentlich mehr, als grüne Politik im eigentlichen Sinne.

Da ist der militärische Interventionismus, der von den Grünen ins Programm genommen wurde, für den Fall, dass mal wieder irgendwo ein Regime-Change, wegen schlechter Regierungsführung, erforderlich wird. Wie gesagt, gern auch mit militärischen Mitteln, wie auf dem Balkan gesehen.

Da ist der außenpolitische Kampf der Grünen gegen fast alle osteuropäischen Staaten und Russland, der aus den ehemals sozialistischen Mehrheitsgesellschaften solche machen soll, die sich hauptsächlich den Minderheiten verschreiben, auch denen, die erst ins Land kommen sollen. Vor allem muslimische Migranten, gegen die sich die Visegrad Länder in Europa wehren, mit denen Russland aber ganz selbstverständlich umgeht und von den Grünen trotzdem des Rassismus beschuldigt wird.

Der Multikulturalismus der Grünen ist eine schräge Nummer, weil er den gescheiterten Multikulturalismus in Westeuropa heiligt und in den gelungen Multikulturalismus in Russland verurteilt. Hauptsächlich weil die LGBT-Fraktion in Russland und Osteuropa nicht recht zum Zug kommt.

Außerdem.

Muslimische Migration in Europa wird als unproblematisch angesehen und gefördert, obwohl Muslime traditionell extrem LGBT-feindlich sind!

Wenn man das gesellschaftspolitische Programm der Grünen durchliest, kommt einem unweigerlich die Vorstellung, dass alle Minderheiten in unserem Land fröhlich zusammenleben sollen, auch wenn sie sich prinzipiell  extrem feindlich gesinnt sind. Hauptsache alle wählen grün.

Es handelt sich wohl eher um einen anarchistischen Grundgedanken, den man ja wenigstens im weitesten Sinne als links bezeichnen kann. Dazu passt nur nicht, die Bereitschaft, Krieg in andere Länder zu tragen. Denn der Anarchismus ist an sich pazifistisch und nicht kriegerisch-hegemonial, wie die Grünen es sind.

Also, was bleibt?

Es bleibt so eine Art unübersehbarer politischer Verworrenheit, bei der Meinungen und Überzeugungen bestenfalls Partytiefe erreichen und von den Linken eigentlich gar nicht mehr selbst durchdacht werden.

Womit wir beim letzten Merkmal der Linken wären, das ich diesen traditionell zuschreiben würde. Beim Intellekt.

Wer damals wie heute Marx und die Frankfurter Schule lesen wollte, kam ohne Intellekt nicht aus. Man braucht die Fähigkeit, vom Allgemeinen auf das Konkrete und umgekehrt, nach logischen Regeln, schließen zu können. Man muss nicht in Abrede stellen, dass manche Linke das noch können, aber der linke Zeitgeist in diesem Sinne ist strohdoof.

Es wird alles in einen Topf geworfen und propagandistisch verrührt und dann ausgeschüttet. Besonders dumm kamen da in jüngster Zeit die Rassismus-Proteste. Da war plötzlich die deutsche Polizei quasi identisch mit der Amerikanischen. Der Rassismus gegenüber Schwarzen das Hauptproblem in Deutschland, obwohl wir völlig anders gelagert sind als die USA. Wer den Wedding als schwarzen Slum bezeichnen möchte, hat noch keinen Slum gesehen und weiß nicht, was das ist. Überall wo Farbige medial, künstlerisch oder als Straßennamen und auf Verpackungen auftauchten, wurde sofort positiv auf Rassismus getestet.

Klar, so kann man es auch machen. Wenn man dumm genug dafür ist. Die Linken sind es ganz offensichtlich, zumindest der linke Zeitgeist.

Ich jedenfalls möchte kein Linker mehr sein und bezeichne mich auch nicht mehr so.

Ich assoziiere links nicht mehr mit sozialer Gerechtigkeit und Verstand, sondern mit Bauchgefühl und Verlogenheit. Links ist für mich irgendwie „link“ geworden.

Irgendwann muss man einen Schlussstrich ziehen.

spaulsen

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