Die Russen kommen! Und dann??

Sönke Paulsen, Berlin

Zugegeben könnten die russischen Soldaten ihre Surfbretter mitbringen und auf dem Atlantik surfen gehen. Aber das können sie jetzt schon, ganz ohne militärischen Überfall.

„Moskaus Eskalationsmöglichkeiten seien real – und die Nato hätte Russland im Ernstfall weder militärisch noch digital schnell etwas entgegenzusetzen“.

So wird derzeit aus internen Natokreisen kolportiert. Was dran ist, sei dahin gestellt. Aber die Nato ist tatsächlich nicht in der Lage, sich effektiv gegen Russland zu wehren. Zumindest nicht in Europa.

Das ist die schlechte Nachricht.

Die gute Nachricht ist, dass Putin wohl kaum beabsichtigt, Natoländer anzugreifen. Nicht ganz so gut sieht es für die Ukraine aus. Hier fehlt derzeit aber die Konstruktion eines Kriegsgrundes aus Moskau. Nicht einmal der kasachische Aufstand wird vom Kreml nachhaltig gegen den Westen instrumentalisiert. Wie auch, wenn viele der Bewaffneten in Almaty wohl Kriminelle mit islamistischem Hintergrund waren. Das bestreiten weder Moskau noch Peking.

Bleibt also der Versuch, Druck auf die Nato auszuüben, sich mit den russischen Forderungen nach Eindämmung zu beschäftigen. Wann hatten wir so etwas schon? Die Eindämmungspolitik war bisher immer gegen Russland gerichtet. Sowohl im kalten Krieg war es amerikanische Doktrin gegenüber der Sowjetunion, als auch danach, sollte Russland so deutlich wie möglich in seine eigenen Grenzen gezwungen werden. Breszinsky hat dazu das Drehbuch veröffentlicht. Russland sollte „pluralisiert“ werden, was so viel wie Auflösung bedeutet. Nicht sehr nett.

Welches Interesse aber haben die Amerikaner, Russland konkrete Angriffsabsichten auf Natostaaten zu unterstellen? Da wäre zunächst einmal die Tatsache, dass das Bündnis zwar noch für internationale Einsätze in Krisengebieten taugt, aber nicht mehr zur „Blockverteidigung“. Jedenfalls nicht konventionell. Hier wurde die Nato von Russland, zumindest in Europa, eindeutig überholt. Die Nato war schon zu Zeiten des kalten Krieges konventionell nicht besonders stark. Es gab in den achtziger Jahren diverse Generäle, die unter der Hand erklärten, dass sie ihre Truppen in der Kaserne lassen würden, wenn der Warschauer Pakt einen Panzerangriff gegen die Nato startet. Die Verteidigung wurde von den Amerikanern damals schon taktisch atomar gedacht. Deutschland wäre das Schlachtfeld geworden.

Das dürfte heute noch mehr so sein, weil die konventionelle Schlagkraft der Nato eher abgenommen hat.

Kurz, Widerstand gegen Russland könnten wir uns gar nicht leisten, wenn wir nicht auf einem atomaren Schlachtfeld leben und vor allem sterben wollen. Der Aufwand aber, mit den Russen konventionell gleichzuziehen, wäre erheblich. Zehntausende von Panzern müssten auf westlicher Seite kompensiert werden und eine koordinierte Armee von mindestens einer Million Soldaten müsste Russland entgegengestellt werden.

Die größte europäische Armee in der Nato hat die Türkei mit knapp einer halben Million aktiver Soldaten und wird wohl kaum gegen Russland antreten wollen. Bliebe also noch Frankreich mit zweihunderttausend aktiven Soldaten, Deutschland mit einhundertachtzigtausend, Polen mit einhunderttausend Soldaten. Man sieht schon, dass eine gut organisierte russische Armee ein Land nach dem anderen besetzen kann, ohne auf eine vergleichbare Schlafkraft zu treffen. Denn die Armeen in der EU sind nicht besonders gut koordiniert.

Ein paar Tage vielleicht und Putins Soldaten stünden am Atlantik und würden ihre Surfbretter rausholen. Kaum eine Chance für die Nato.

Was wäre dann eigentlich??

Putin wäre der größte Feldherr aller Zeiten und könnte die Grenzen in Europa neu gestalten. Die Frage ist nur, was er dann mit uns machen will? Ich glaube nicht, dass ihm etwas Sinnvolles einfällt.

Deshalb ist das alles eine ziemlich überzogene Partie, die niemand eröffnen wird, weil keiner in der Lage ist, sie zu Ende zu spielen.

Bleibt aber trotzdem der desolate Zustand unserer europäischen Armeen, ganz besonders auch der deutschen Bundeswehr.  Hier müssen wir dringend etwas tun, um wenigstens der Lächerlichkeit zu entgehen.

Mit dem zwei Prozent-Ziel der Nato dürfte es nicht getan sein. Europa muss sich in Bezug auf die Landesverteidigung militärisch neu organisieren. Eine schnelle Eingreiftruppe reicht da nicht. Wir brauchen solide Armeen, die auch ein Konzept haben, wie sie die EU gegen Angriffe von außen verteidigen wollen. Nicht einmal das gibt es im Augenblick.

Putin hat uns auf dem falschen Fuß erwischt und wir stehen ziemlich nackt da. Das allein zu zeigen, dürfte die Sache gelohnt haben.

spaulsen

3 Comments

  1. Sehr geehrter Herr Paulsen,
    gebe zu, dass ich so einige Male Probleme mit Ihren Artikeln hatte, besonders wenn es um Russland/Putin-Bashing ging. Mag sein, dass Putin kein astreiner Demokrat ist, aber bezüglich demokratischem Verständnis und fairer Aussenpolitik sollten die Deutschem ganz schnell ihren dogmatischen Mund halten.
    Wir sollten uns täglich vor Augen halten was vor dem 2. Weltkrieg im Dritten Reich stattgefunden hat. Die Menschen wurden durch hetzende Propaganda auf einen Krieg eingeschworen (so wie heute) und am 1. September 39 begann der Krieg mit dem Angriff auf Polen mit einer dicken Lüge.
    „Seit 5:45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen“, obwohl Polen keinen einzigen Schuss abgegeben hatte.
    Die Zeit ist mehr als reif diese verlogenen Spiele zu beenden. Wenn Europa und die BRD es gewollt hätten, dann hätten wir in den letzten 30 Jahren längst eine freundschaftliche Basis zu den Russen aufbauen können.
    Wenn es uns möglich ist zu Saudi Arabien einen problemlosen Kontakt zu halten,
    einem Land aus dem 17 der 19 Attentäter von 9/11 kamen, (und viele andere Gräueltaten mehr) dann sollte uns eine Beziehung zu Russland recht leicht fallen.
    Wann hat uns Russland in den vergangenen 200 Jahren aus Eigeninitiative überfallen oder uns energietechnisch im Stich gelassen. Fast alle Vorwürfe gegen Russland/Putin sind vom Westen konstruiert. Russland hat sich das jahrzehntelang gefallen lassen. Doch jetzt hat Russland ein neues Selbstbewusstsein entdeckt und ich muss sagen,- es steht ihnen gut.
    Journalisten wie Sie sollten an einem verbesserten Verhältnis zu Russland arbeiten. Bin mir sehr sicher, das Russland diese Hand sehr gern entgegennehmen würde. Bitte treten Sie einem bevorstehendem Desaster entgegen bei dem die Europäer nur verlieren könnten. Die Gewinner säßen wieder mal jenseits des Atlantiks, so wie nach dem 2. Weltkrieg.
    Buchempfehlung: „Das Schachbrett des Teufels“ von Talbot. Wenn Sie es schon kennen dann wissen Sie ja wie es läuft,- und im Moment läuft es so.
    Treten Sie ein für Millionen Menschen, die unter einer weitern Eskalation zu leiden hätten. BITTE

  2. Vielen Dank! Ich schätze ausführliche und überlegte Kommentare, die unter dem eigenen Klarnamen laufen. Inhaltlich kann ich manches teilen, bin aber zu einer sehr kritischen Position gegenüber Russland zurückgekehrt. Das Problem ist, dass dies oft so verstanden wird, dass ich den Westen reinwaschen will. Das ist nicht der Fall. Aber ich bin nun mal Deutscher und die rusische Außenpolitik insbesondere gegenüber der Ukraine, ist für mich katastrophal. Die demokratische Verfasstheit Russlands ist auch nicht besser und das ist kein Lob für unser Land, für die EU oder gar die USA, auch wenn es oft so interpretiert oder gar bewusst benutzt wird.

  3. Herr Paulsen, Sie wissen ganz genau, dass die USA die Provokationen auf dem Maidan provoziert und kostspielig herbeigeführt haben. Russland konnte gar nicht mehr anders. In der Grundakte von 1997 haben sich der Westen und Russland verpflichtet gegenseitiges Vertrauen aufzubauen und keine Nato-Ost-Erweiterung!!! Und was ist tatsächlich passiert? Die Nato hat sich weitere 14 Länder einverleibt. Hat Russland bei jeder Osterweiterung jedes Mal zugeschlagen?
    Was Sie als katastrophale Außenpolitik Russlands gegenüber der Ukraine bezeichnen ist das Ergebnis hinterhältiger, verlogener und intrigenhafter Scheinheiligkeit des Westens und durch nichts mehr zu überbieten.
    SIE WISSEN DAS!
    Warum das Russland-Bashing von so vielen Politikern und Journalisten???
    Ist es förderlich für die eigene Karriere, bessere Bezahlung, höheres Ansehen.???
    Ich wünsche mir Frieden mit unseren Nachbarländern und mit Russland und ich weiß, dass es funktionieren würde. Im Gegenteil zu Saudi Arabien, da bin ich mir nicht so sicher. Mit freundlichen Grüßen
    PS. Sie müssen nicht antworten, ich denke Sie haben wenig Zeit.
    Übrigens, so wie ich denke denken viele in meinem Bekanntenkreis. Es ist nur im Moment nicht schicklich sich für Russland und somit für Frieden einzusetzen, es fehlt der Mut.
    Ist das nicht traurig?

Schreibe einen Kommentar zu spaulsen Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.