Warum man im Falle des Ukraine-Krieges nicht geteilter Meinung sein kann

Sönke Paulsen, Berlin

Die westlichen Mainstreammedien sind sich einig in Bezug auf die barbarischen Massenverbrechen, welche die Russen mit ihrem Überfall auf die Ukraine begonnen haben und weiter fortsetzen. Es gibt aber immer noch Leute, die darüber diskutieren wollen und eine ausgewogene Meinung einfordern. Zu Unrecht!

Als die Nationalsozialisten in den dreißiger Jahren die Deutschen in Besitz genommen haben, hatten sie ein leichtes Spiel. Es handelte sich damals um eine Bevölkerung die durch Wirtschaftskrisen verunsichert und geschwächt war. Die Menschen hatten größtenteils Gewalterfahrungen und Angst und waren durch eine autoritäre Gesellschaft traumatisiert. So waren sie bereit, den eigenen gesunden Kern, wenn er noch vorhanden war, zu verleugnen und im Zug der großen barbarischen Menschheitsvernichtung mit zu marschieren. Erich Fromm hat das wenig später in seinem Buch „Die Furcht vor der Freiheit“, treffend analysiert.

In der russischen Welt liegt die totalitäre und menschenverachtende Diktatur des Kommunismus gerade etwas mehr als dreißig Jahre zurück. Übersetzt auf westeuropäische Geschichte, wären wir jetzt Mitte der siebziger Jahre angekommen, in denen die antiautoritäre Bewegung bereits eine feste gesellschaftliche Größe war.

Heute, über dreißig Jahre nach Zusammenbruch der Sowjetunion können wir auf eine vergleichbare Entwicklung in den russischen Gesellschaften nicht verweisen. Es gab keine vergleichbare Kulturrevolution wie im Westen und keine großen antiautoritären Bewegungen. Es gab in der russischen Welt noch nicht einmal breite Demokratiebwegungen. Stattdessen Korruption, eine phasenweise untertägliche Gewaltherrschaft der organisierten Kriminalität, der Oligarchen und der freigesetzten Fragmente russischer Geheimdienstorganisationen, wie beispielsweise des ehemaligen KGB, dem bekannterweise auch der russische Präsident entstammt.

Man kann es auch so zusammenfassen, dass es einen weitgehenden Fortbestand der autoritären Gesellschaft mit allen ihren schlimmen Folgen für die Menschlichkeit gibt und das überall in der russischen Welt, auch in der Ukraine.

In den Familien gibt es nach meiner Erfahrung weiterhin viel Gewalt, es gibt einen weit verbreiteten Fatalismus was Menschlichkeit angeht und eine hohe Toleranz für jede Form von Machtmissbrauch. Damit ist ausdrücklich auch sexueller Machtmissbrauch gemeint.

Die führende dieser Gesellschaften, die russische, greift nun in einem barbarischen Angriffkrieg nach dem Ex-Sowjetstaat, der zaghaft begonnen hat seine Gesellschaft von Innen zu reformieren und dabei noch nicht einmal besonders weit gekommen ist. Die Rede ist von der Ukraine, die immer noch ein klassisches postsowjetisches Land mit allen dunklen Seiten ist. Aber dieser zaghafte Aufbruch reicht der Führungsclique um den KGB-Mann Putin aus, das Land vom Erboden tilgen zu wollen und einen Genozid an der Bevölkerung zu versuchen.

Das sind so unbestreitbare Tatsachen, dass man sich wundert, warum intelligente Leute darüber noch diskutieren wollen. Die Toten, Vergewaltigten und schwerst Traumatisierten gehen nach einem halben Jahr schon in die Hunderttausende. Aber in einer pluralen Medienlandschaft hält sich in Teilen immernoch die Meinung, dass die russische Welt vom Westen nicht verstanden und falsch behandelt wurde und deshalb so aggressiv agiert.

Nein, die russischen Gesellschaften haben es nicht geschafft, sich von innen heraus zu reformieren und schlagen nun den gegenteiligen Kurs ein, der alles mit Füßen tritt, was human, gewaltfrei und letztlich vernünftig ist, wenn man die menschliche Entwicklung als kulturelle Evolution zum Guten betrachten will.

Natürlich kann man die Entwicklung der Beziehungen zwischen dem Westen und der russischen Welt nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Diktatur analysieren und darüber diskutieren. Über den Krieg gegen die Ukraine gibt es aber nichts zu diskutieren. Den kann man nur, als weit außerhalb aller Menschlichkeit stattfindend, auf das schärfste verurteilen.

Russland hat sich damit außerhalb der menschlichen Gemeinschaft gestellt, so wie es damals die Deutschen taten, als sie unter Kontrolle der Nationalsozialisten standen.

Das hat übrigens mit Parteilichkeit und Ideologie nichts zu tun. Als Poroschenko, der Präsident, der 2014 in der Ukraine die Macht übernahm, Lugansk bombardierte und die zerfetzten Körper der Menschen dort auf den Straßen lagen, haben die Menschen verstanden dass das Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind. Ich musste in meinem Artikel „Poroschenko ist ein Kriegsverbrecher“, nur ein paar Worte schreiben, damit der Artikel in sieben Sprachen übersetzt und hunderttausendfach gelesen wurde. Die Wahrheit hat sich durgesetzt und Poroschenko konnte diesen Krieg gegen die Menschen, auch mit einer Supermacht im Rücken, nicht fortsetzen.

Auch im Falle Putins wird sich die Wahrheit durchsetzen und sie wird dazu führen, dass Russland diesen mörderischen Angriff irgendwann abbrechen und die Konsequenzen tragen muss.

Vietnam hat dazu geführt, dass in den USA eine starke Friedensbewegungn entstanden ist, die damals Millionen Menschen auf die Straße brachte und Teil der westlichen Kulturrevolution wurde. Vielleicht ist das auch ein Chance für Russland sein menschliches Antlitz zurück zu bekommen, das es in diesem Jahr vollkommen verloren hat. Russland ist heute die hässliche Fratze des Krieges und sein Präsident ist dabei zu einem der schlimmsten Killer der Weltgeschichte zu avancieren.

Kann man darüber geteilter Meinung sein?

spaulsen

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