Ende des Ukraine-Kriegs – welche wirtschaftlichen Szenarien können Russland beeinflussen?

Sönke Paulsen, Berlin

Der russische Überfall auf die Ukraine hat sich weitgehend verlangsamt und an einigen Fronten sogar komplett festgefahren. Der geplante „Blitzkrieg“ gegen die Ukraine ist für den Kreml gescheitert. Für die Frage, wie es weitergehen kann, gibt es derzeit vor allem militärische Szenarioanalysen, die allerdings die wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Aspekte insbesondere in Bezug auf Russland nicht hinreichend einbeziehen.

Der Kreml, also Wladimir Putin, hat dabei vor allem ein Interesse, den Krieg auf eine militärische Operation zu reduzieren und die Kollateralschäden bei den internationalen Beziehungen außer Acht zu lassen. Man kann sagen, dass Putin sich auf den Krieg fokussiert und alles andere weitgehend ausklammert.

Dennoch existieren die Faktoren, die beispielsweise das russische Bankensystem, den Rubel, die Importe und zunehmend auch die Exporte Russlands, einschließlich der Rohstoffe, betreffen. Derzeit bezieht Russland aber noch täglich eine Milliarde Euro aus Europa für seine Gaslieferungen, was theoretisch den Krieg finanzieren könnte, der Russland ebenfalls täglich eine Milliarde Euro kostet. Eine kurzfristige Beendigung des Krieges auf Grund mangelnder Finanzierungsmöglichkeiten war ohnehin nicht zu erwarten. Russland verfügt über Geldreserven von 600 Milliarden Euro und könnte mit diesem Geld fast zwei Jahre lang Krieg führen, wenn alle anderen Ausgaben unberücksichtigt bleiben.

Auf Grund des Ausschlusses großer russischer Banken (beispielsweise der Sberbank) vom SWIFT-Zahlungssystem können diese allerdings ihre Verbindlichkeiten im Milliardenbereich derzeit nicht bedienen. Die russische Regierung reagiert darauf, indem sie den Banken empfiehlt, ihre Schulden gegenüber feindlichen Ländern in Rubel zu begleichen. Ein rhetorischer Tipp, der an der Zahlungsunfähigkeit der Sberbank wenig ändern dürfte.

Die Geldaufnahme dieser Großbanken ist allein schon durch die Herabstufung ihrer Kreditwürdigkeit durch große Ratingagenturen auf „Ramschniveau“, also mit erwartetem Zahlungsausfall, nicht mehr möglich. Somit nehmen diese Banken auch nicht mehr am Interbankenmarkt teil und müssen durch die russische Regierung direkt mit Geld versorgt werden. Da der Rubel international seinen Wert massiv eingebüßt hat, nützt es der russischen Zentralbank nichts, die Geldpresse zum Einsatz zu bringen. Der Rubel lässt sich nicht mehr verkaufen!

Wenn Russland nun seine Großbanken vor dem Kollaps retten möchte, kann es dies, aus eigener Kraft nur mit inländischen Devisenreserven tun, da europäische und amerikanische Reserven, die Russland ebenfalls im dreistelligen Milliardenbereich hat, eingefroren werden. Die eigenen Devisenreserven würden dabei sehr schnell schmelzen und innerhalb von drei Monaten wäre wohl eine russische Staatspleite in Sicht.

Die andere Alternative wäre es, sich über chinesische Großbanken an den Interbankenmarkt anzuschließen, was für letztere ein erhebliches Risiko wäre und von Peking mit entsprechenden Verträgen flankiert werden müsste. Beispielsweise mit Rohstofflieferungen aus Russland als Sicherheit. Ob China eine so umfassende Hilfestellung leisten würde, ist derzeit fraglich. Denn chinesische Großbanken sind zwar führend in der Welt, aber nicht besonders krisenfest. Einen Stresstest für chinesische Banken gibt es nicht. Die Unterstützung russischer Großbanken wäre ein solcher Stresstest, aber eben in der Realität. Auch chinesische Großbanken können straucheln und haben daneben eine Menge fauler Anleihen bei sich liegen, die in den letzten Jahren immer wieder zu Mutmaßungen führten, dass chinesische Kreditblasen platzen und die nächste Bankenkrise auslösen können.

China als Mitspieler Russlands im Kampf gegen den Westen dürfte also ein unsicherer Kandidat sein.

Eigentlich sind das die einzigen kurzfristig wirksamen Faktoren, die Russland wirtschaftlich zu Fall bringen können. Gemeint wäre der Zusammenbruch des russischen Finanzsystems. Alle anderen Wirtschaftssanktionen wirken bestenfalls mittelfristig, wenn man von Versorgungsengpässen der russischen Bevölkerung absieht, die wir allerdings auch hier in Europa erwarten müssen. Dabei hängt viel am Verhalten der Bevölkerung, beispielsweise in welchem Umfang es Hamsterkäufe gibt, also wichtige Waren dem Markt entzogen werden, und wie diszipliniert die Bevölkerung im Westen beispielsweise mit der Energiepreiskrise umgeht.

Diese Faktoren konstituieren den wirtschaftlichen Einfluss auf den weiteren Kriegsverlauf und können in ihrer Wirksamkeit nur teilweise vorhergesagt werden

Der Zusammenbruch von mehreren Großbanken in Russland (Sberbank, Gasprombank etc.) kann in den nächsten Monaten nur von den Chinesen aufgehalten werden. Werden sie es effektiv tun, können chinesische Großbanken darüber selbst ins Straucheln geraten? Die Finanzmärkte sind hier gnadenlos, aber auch so verflochten, dass der Ausgang ungewiss ist. Ein möglicher Zusammenbruch russischer Großbanken würde in Russland allerdings zwangsläufig zum Finanzkollaps und zur Staatspleite führen. Ein Zusammenbruch chinesischer Großbanken würde allerdings zu einer Weltfinanzkrise führen, die auch viele westliche Banken in ihren Strudeln ziehen kann.

Der Druck durch die russische Bevölkerung kann durch die bestehende Propaganda reduziert und durch eine geschickte Verteilungspolitik aufgefangen werden. Knappe Güter müssten schnell rationiert werden und eine so genannte Kriegswirtschaft wäre die Folge. Unter solchen Bedingungen kann Russland recht lange durchhalten, weil es in vielen Bereichen autark ist.

Die Finanzierung des Ukraine-Krieges wäre durch beide vorgenannten Faktoren nicht wirklich gefährdet. Denn die Truppen sind da, die Rohstoffreserven und das Kriegsgerät ebenfalls. Russland könnte also sogar bei einem Staatsbankrott den Krieg fortsetzen und für sich entscheiden. Die russische Exportindustrie wäre allerdings vernichtet, der Rohstoffexport würde aber höchstens in zwei bis drei Jahren einbrechen, wenn überhaupt. Somit haben die Finanzsanktionen zwar erhebliche Auswirkungen auf das Leben in Russland, die Vermögen der Bürger würden sich in Luft auflösen und die Oligarchen wären um viele Milliarden Euro ärmer. Russland würde also gewissermaßen in den sowjetischen Modus zurückfallen. Die Vermögensunterschiede in der Bevölkerung würden sich automatisch reduzieren.

Wenn es Putins Propaganda gelingt, den Überfall auf die Ukraine in einen neuen großen vaterländischen Krieg umzudeuten, wäre Russland noch über Jahre in der Lage, den Krieg fortzuführen, die Ukraine einzunehmen und dann den westlichen Sanktionen zu trotzen. Putin säße weiterhin fest im Sattel.

Schockmomente können dennoch die russische Politik verändern. Die Achillesferse der russischen Wirtschaft ist ihre Rohstoffabhängigkeit. Wenn es dem Westen gelänge, russische Energieimporte drastisch zu reduzieren und schneller als erwartet unabhängig von russischen Rohstoffen zu werden,  könnte Russland vom internationalen Geldfluss schnell ausgeschlossen werden, weil keine Gegenleistung mehr in der Waagschale liegt. Dann würde die russische Wirtschaft nur noch als Anhängsel der Chinesen funktionieren, was erhebliche politische Konsequenzen hätte. Die russische Souveränität wäre dadurch derart bedroht, dass Russland möglicherweise seine Politik ändert und sich verhandlungsbereit zeigt. Das könnte auch ein Endpunkt des Ukrainekrieges werden, wenn dieser bis dahin nicht militärisch entschieden ist. Zu erwarten sind solche Schockwellen derzeit aber nicht, weil gerade Europa es sich derzeit nicht leisten kann, die russischen Energielieferungen zu boykottieren. Allenfalls in ein bis zwei Jahren könnten die Europäer einen gemeinsamen Kraftakt dieser Art zustande bringen, wenn jetzt schon Einigkeit bestünde.

Fazit: Ein kurzfristiges Ende des Ukrainekrieges durch wirtschaftliche und finanzielle Maßnahmen ist nicht zu erwarten. Eine mittelfristige Kriegswirtschaft ist in Russland wahrscheinlich. Der Absturz des Landes in eine breite postsowjetische Armut mit Reduzierung der Vermögensunterschiede bei den Russen wäre aber, abhängig vom Engagement der Chinesen, durchaus möglich.

spaulsen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.