Warum Putin in der Ukraine einmarschieren könnte

Sönke Paulsen, Berlin

Man kann ja sagen, was man will, aber attraktiv ist das Asowsche Meer für Urlauber eher nicht. Nur Hartgesottene aus dem Donbass verbringen dort ihre Ferien. Ich habe es einmal versucht, in Mariupol. Am Strand stank es nach Fabrik und am Horizont zog eine unaufhörliche Karawane von Frachtschiffen entlang. Das Wasser schillerte in allen „Ölfarben“ und war zu warm. Kurz nach meinem Aufenthalt dort, kam es zu einem Cholera-Ausbruch.

Für die Russen aber ist der Landstreifen zwischen Mariupol und der ukrainischen Landbrücke zur Krim, über zweihundert Kilometer immerhin, von großem Wert. Denn dann wäre die Ukraine komplett vom Asowschen Meer getrennt und das gesamte Binnenmeer wäre russisch.

Wer sich an die Zwischenfälle der letzten Jahre erinnert, die sich in der Straße von Kertsch, dem einzigen Zugang zum Asow, ereignet haben, begreift schnell, wie wichtig dem Kreml die Kontrolle dieses Zuganges ist. Denn theoretisch könnten nicht nur ukrainische Marineeinheiten im Asow operieren, sondern auch alle anderen, einschließlich der USA. Es handelt sich um internationales Gewässer. Damit wäre Schluss, wenn nur noch Russland Anrainer wäre. Dann ist es eben russisch, was die russischen Touristen wohl weniger freut, als die russische Marine. Über den Don ist das Meer der Zugang zum Schwarzen Meer und dem Mittelmeer und schließlich zum Suezkanal und zum Atlantik. Es ist also strategisch nicht ohne Bedeutung. Die Russen möchten es gern in ihrem Besitz haben und keinesfalls mit der Ukraine teilen, solange sie auf Westkurs ist. Damit wäre dann auch der US-Marine, die im Schwarzen Meer operieren kann und operiert, eine eindeutige Grenze gesetzt.

An der Straße von Kertsch begänne Russland.

Würde der Kreml für so einen strategischen Vorteil noch einen Krieg gegen die Ukraine anfangen?

Das käme wohl auf die Kosten an.

Das abtrünnige Bruderland vom Asowschen Meer abzudrängen, was sicher innerhalb weniger Stunden, in einer militärischen Operation, möglich wäre, würde zwangsläufig heftige Sanktionen des Westens nach sich ziehen. Diese gilt es vorher zu berechnen. Die militärischen Provokationen Russlands an der ukrainischen Grenze könnten dabei helfen. Vielleicht entlockt man dem Westen, also EU und USA ein paar unvorsichtige Bemerkungen, welche Sanktionen man in so einem Fall ins Kalkül zieht.

Beim Nato-Außenministertreffen in Riga sprach US-Außenminister Blinken gerade von Wirtschaftssanktionen und solchen finanzieller Art. Was ist damit gemeint? Russische Unternehmen, wie Gazprom und die russischen Banken von internationalen Finanzplätzen ausschließen? Wallstreet, London, Paris, Tokio, Frankfurt? Das könnte versucht werden.  Den russischen Rubel international auf Talfahrt schicken? Wohl möglich. Den Ölpreis durch eine konzertierte Aktion westlich orientierter Erdölländer und den USA in den Keller bugsieren und nicht mehr nach oben zu lassen, wäre möglich und für die Erdölproduzenten gleichzeitig schädlich.

Unterm Strich haben die USA aber bisher nicht einmal North-Stream 2 verhindern können. Die Frage also, wie stark sie Russland tatsächlich schädigen könnten, bleibt also offen. Bis man es ausprobiert.

Dafür bedarf es eines Krieges in dem die Russen Kiew weiter filetieren. Eigentlich ist das kein Problem für die russische Armee, die konventionell so stark gerüstet ist, dass sie in 24 Stunden am Atlantik stehen könnte. Die Amerikaner müssten taktische Atomwaffen einsetzen, um die Russen zurückzudrängen. Keine schöne Vorstellung!

Vermutlich hat der Kreml noch nicht zu Ende gerechnet und Blinken, der mit einem russischen Angriff auf die Ukraine im Januar rechnet, hat übertrieben. Aber möglich wäre es.

Russland, das größte Land der Erde mit der vermutlich stärksten konventionellen Armee, scheint entschlossen, einen Puffer zwischen sich und die Nato zu setzen und hat bereits angefangen. Die Theaterrepubliken im Osten der Ukraine gehören dazu, ebenso wie die Krim. Das Asowsche Meer könnte das nächste sein. Im Norden gibt es Kaliningrad, das leider an drei kleine Enklaven der Nato angrenzt, die sich Baltische Staaten nennen. Im Kaukasus haben wir noch Georgien, das ebenfalls filetiert ist.

Weit ist Putin von seinem Ziel nicht entfernt. Es bräuchte noch zwei kleine Kriege. Einen gegen die Ukraine und einen etwas schwierigeren gegen die Baltischen Staaten. Könnte sein, dass Putin in diesem Winter damit anfängt.

Warten wir es ab.

spaulsen

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