Frankreich – Viel Krawall und schöne Worte

Sönke Paulsen, Berlin

Der französische Präsident beherrscht den Priesterblick, die Gebärdenübersetzerin ist skeptisch

Die Neujahrsansprache des französischen Präsidenten wurde stimmungsvoll von brennenden Autos und Krawallen in den Vorstädten untermalt. Kein Wort darüber von Macron.

Vénissieux, Villeurbanne, Vaulx-en-Velin, Rillieux, Givors, zweiundfünfzig Autos sind allein in den einschlägigen Stadtvierteln von Lyon in der Sylvesternacht in Flammen aufgegangen. Die Stadtviertel sind für „Rassenunruhen“,  die meist von jungen Nordafrikanern angezettelt werden, berüchtigt. Insgesamt sind in Frankreich in der Sylvesternacht 874 Autos ausgebrannt. Immerhin 450 weniger, als vor einem Jahr.

Macron hält seine Neujahrsansprache trotz der alljährlichen Krawalle an die anderen Franzosen, die ihn verstehen, die sich als Patrioten und gute Europäer fühlen und eben nicht an die Nordafrikaner in den Banlieues der großen Städte.

Ein seltsames Doppelleben führt dieses Land, das sich auch an der Mimik seines Präsidenten ablesen lässt. Selten wirkt etwas echt, niemals ehrlich in der Ansprache von Emanuel Macron, der scheinbar jetzt schon in den Wahlkampf startet.

Wir helfen den ökonomischen Opfern der Pandemie, „comme il doit“, also wie es sich gehört, sagt der Präsident und bekommt dabei einen eigentümlichen Priesterblick, den die Dolmetscherin für Gebärdensprache mit einem „so lala“ in Gebärdensprache übersetzt (siehe Titelbild).

Frankreich stärker als je zuvor?? Also Emanuel Macron, bitte!

Frankreich sei stärker als vor zwei Jahren, als die Pandemie anfing. Die Übersetzerin geht voll mit. Es stimmt. Vor zwei Jahren gab es noch die „Gelben Westen“, die durch die französischen Corona-Maßnahmen gewissermaßen von der Straße gefegt wurden. Unklar ist allerdings, ob Macron das meint. Denn die Wirtschaft in Frankreich schwächelt wie nie zuvor.

Frankreich 2030. Der Präsident ist jetzt schon stolz auf seine zukünftigen Leistungen.

Als Macron den Plan „Frankreich 2030“ erwähnt, von dem noch nichts zu merken ist, zeigt er schon mal Stolz auf das zukünftig Geleistete. Die Übersetzerin tut es ihm nach.

Er will den Franzosen weiter dienen. Er muss nur die Präsidentschaft gewinnen.

Macron will nämlich, daraus macht er kein Geheimnis, die Presidentielle 2022 gewinnen und den Franzosen weiterhin „dienen“.

Einigkeit und Solidarität. Ob sich die Franzosen wirklich hinter Macron versammeln?

Er ruft die Franzosen schon mal zur Einigkeit auf und damit ist wohl gemeint, dass sie sich hinter ihm, den Präsidenten, versammeln sollen. Ob sie das wirklich tun? Die Übersetzerin wirkt etwas unsicher.

Es lebe Europa! Danach die Republik und danach Frankreich. Mal sehen wer zuerst ablebnt.

Macron selbst scheint auch unsicher zu sein. 2022 kann alles passieren, sagt er sinngemäß. Es lebe Europa, die Republik und Frankreich. In genau dieser Reihenfolge. Mal sehen, wer hier als erstes ablebt. Europa, die Republik oder Frankreich?

spaulsen

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