Prigoschin und kein Ende

Sönke Paulsen, Berlin

Viel ist in letzter Zeit geschrieben worden, über den Chef und Finanzier der Wagner-Söldner. Dieser Artikel wäre überflüssig, wenn der Koch Putins als das beschrieben würde, was er ist. Der wichtigste Propagandist Putins.

Seit etwa zwanzig Jahren besteht sein Hauptgeschäft darin, Propaganda und Diffamierung zu verbreiten. Er hat die St. Petersburger Trollfabrik IRA gegründet und unterstützt auch einige andere Troll- und Hackergruppen, die überall auf der Welt Einfluss nehmen. Prominentestes Beispiel ist die Beeinflussung der US-Wahl 2016, wegen der Prigoschin weiterhin vom FBI verfolgt wird. Für Hinweise, die eine Festnahme ermöglichen, sind 250 000 Dollar ausgesetzt worden.

Diesen Mann als Kämpfer oder gar als militärisches Genie zu bezeichnen, ist grob irreführend. Die Wagner-Strategien werden nicht von Prigoschin gemacht, sondern von seinen Offizieren und von Utkin dem eigentlichen Gründer der Truppe, der zuvor eine SPEZNAS Einheit befehligt hatte. Da Utkin ein bekennender Hitler-Fan ist, darf man auch einen Vergleich mit dem Dritten Reich ziehen. Prigoschin dürfte dabei in etwa die Rolle des Reichsführers der SS Himmler bei den Wagner Söldnern spielen. Nicht nur, weil er tausende seiner Leute in den Himmel schickt. Hauptsächlich, weil Himmler selbst keine autochtone Figur war und alle Befehle von Hitler bekam. Erst gegen Ende des Dritten Reiches begann er eigenständige Entscheidungen zu treffen, die aber vor allem seinem Eigeninteresse, der Hoffnung auch nach Ende der Nazis noch weiter zu existieren, geschuldet waren.

So ähnlich dürfte es sich im Verhältnis Prigoschin und Putin verhalten. Es ist nicht anzunehmen dass der Wagner Chef irgendetwas unternimmt, ohne von Putin dafür autorisiert zu sein. So absurd es klingt, muss man auch beim „Wagner-Aufstand“ in diesem Jahr davon ausgehen, dass die Sache zwischen Putin und Prigoschin abgesprochen war.

Cui bono?

Im Westen geht man davon aus, dass der Aufstand Putin empfindlich geschwächt hat. Allerdings ist mit höchster Wahrscheinlichkeit das Gegenteil der Fall. Im Westen mag Putin noch einmal an Ansehen verloren haben, in Russland aber nicht. Da war er der gute Zar, der einmal mehr durch seine unfähige Militärverwaltung in Bedrängnis kam und durch einen rauen Helden, der dagegen aufstand unterstützt wurde. Natürlich musste der Held Prigoschin wegen Rebellion das Land verlassen. Aber Putin konnte die Lage doch sehr zu seinem Nutzen wenden. Der Druck auf die Militärführung und Schoigu war gewaltig und letztlich brauchte er Prigoschin in der Ukraine gerade nicht. Also wurde er nach Belarus geschickt, wo er derzeit sein Unwesen treibt und die westlichen Anliegerstaaten in Angst und Schrecken versetzt.

Kann man eine Propagandafigur besser einsetzen?

Das doppelte Spiel ist eine Routineübung der russischen Geheimdienste, aus denen das Putin-Monster erwachsen ist und seitdem die Welt in Atem hält. Prigoschin war immer eine Marionette des Kreml-Herrschers. Die Propaganda richtete sich in diesem Falle nach innen.

In Russland herrscht sei je eine Klan-Kultur, die im Westen nicht verstanden wird. Sie beruht gerade nicht auf Konkurrenz und dem Kampf um die Macht, sondern auf Loyalität, die oft sogar lebenslang angelegt ist. Die Klan-Kultur ist zwar nicht sehr volksfreundlich und schafft wenig Wohlstand. Aber jeder Russe weiß intuitiv, woran er ist. Ohne Seilschaften und Loyalitäten ist er nichts. Im Kreml weiß jeder, dass es nicht um Leistungen geht, sondern darum Loyalität zu zeigen. Wer das nicht tut, ist ein Verräter.

Die westliche Konkurrenzkultur ist das absolute Gegenteil davon. Im Westen sind solche Spielchen, wie der Prigoschin-Aufstand, ein absolutes Nogo, wie sich derzeit bei den Trump-Anhörungen zum Sturm auf das Capitol zeigt. In Russland sind sie möglich und werden sogar sinnvoll eingesetzt, um die Machtvertikale zu stärken. In diesem Falle konnte Wagner sogar in Belarus installiert werden, was ein beispielloser Erfolg Putins gegenüber seinem widerspenstigen Vasallen Lukaschenko ist.

Wir lügen uns in die Tasche, wenn wir glauben, dass Putin in irgendeiner Weise destabilisiert wurde. Das ist nicht der Fall. Er ist, gerade durch den Krieg in der Ukraine, stärker, als je zuvor. Oder hat man schon davon gehört, dass ein Stalin durch den großen vaterländischen Krieg geschwächt wurde? Der zweite Weltkrieg war der Höhepunkt seiner Macht! Anders wird es auch nicht bei Putin sein. Prigoschin ist eine Randfigur, die vergleichbar mit Schirinowski und vielen anderen radikalen Russen, Putin die Drecksarbeit abnimmt und hilft, seinen Machtapparat auf Touren zu bringen. Ganz im Sinne des „guten Zaren“, der leider von unfähigen Leuten umgeben war.

Nur mit einem Unterschied. Eine zweite Oktoberrevolution ist nicht zu erwarten.

spaulsen

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