Auch in Russland stinkt der Fisch vom Kopf

Russland wird nicht vom Westen niedergehalten, sondern von der eigenen Klan-Kultur, deren oberster Vertreter der russische Präsident selbst ist. Er sollte das erkennen und einen westlich orientierten und liberalen Präsidenten installieren. Er selbst sollte dann mit seinen Vetos sparsam umgehen, denn er hat Russland in eine Sackgasse manövriert.

Man macht einen Fehler eigentlich immer mehrfach, bevor man versteht, wo das Problem liegt. Manchmal versichert man sich, dass man „diesen Fehler“ wirklich nur einmal gemacht hat, kann sich hinterher aber nicht sicher sein, ob man wirklich hinreichend umgedacht hat.

Ein bisschen so scheint es inzwischen dem Kreml zu gehen, der einer Einkreisung durch die Nato mit einer beispiellosen Aufrüstung begegnet. Gedroht wird militärisch gegen eine Nato, die zumindest in Europa, schon seit Längerem ihr konventionelles Kriegspotential nicht mehr unter Beweis stellen kann. Die Antworten der Amerikaner, die etwa fünfundsiebzig Prozent der Schlagkraft des Bündnisses ausmachen, auf Putins Aufmärsche im Westen sind militärisch verhalten. Biden betont, dass er mehr Truppen nach Osteuropa schicken werde, „aber nicht viele“.

Am Beispiel der Ukraine erkennt man allerdings, was sich seit dem „Kalten Krieg“ geändert hat. Es stehen sich nicht mehr zwei waffenstarrende Blöcke gegenüber, die sich mit einem fanatischen Wettrüsten in die Knie zwingen wollen. Die Bedrohung für Putin und seine Macht-Clique ist asymmetrisch.

Während Russland sich als neue militärische Großmacht feiert, gibt es nicht nur in der Ukraine Probleme mit einer Bevölkerung, die nach Wohlstand verlangt. Auch in Belarus und Russland selbst besteht das Problem. Dort finanzieren Menschen ihren täglichen Nahrungsbedarf inzwischen mit Krediten.

 Der Blick in den Westen offenbart, dass ehemalige Warschauer-Pakt-Staaten wie Polen ein rasantes Wirtschaftswachstum hinlegen und dabei mit ihren demokratischen Bedingungen recht zufrieden wirken. Sie verteidigen sich auch erfolgreich gegen unerwünschte Einflussnahmen aus Brüssel. Ähnliches gilt für andere osteuropäische Länder, wie Ungarn, die Tschechei und die Slowakei sowie die Baltischen Länder.

Genau diesen Umstand, der die „Soft-Power“ westlich orientierter Länder markiert, ist die größte Bedrohung für den Kreml und seine Machthaber. Belarus hat es vor kurzem aufs Neue gezeigt. Die Machtarchitektur des postsowjetischen Autoritarismus ist äußerst brüchig und permanent durch „westliche Einflussnahmen“ bedroht.

Die eigentliche Bedrohung Putins ist also nicht militärisch, sondern zivilgesellschaftlich und resultiert aus der wirtschaftlichen Überlegenheit des Westens. Genau die Situation, die wir am Ende des „Kalten Krieges“ hatten, kurz vor Zusammenbruch der damaligen Sowjetunion.

Sicher verkaufen russische Rüstungsunternehmen Waffen für jährlich fünfzehn Milliarden Dollar. Aber das Geld, wie auch das Geld aus den Rohstoffeinnahmen kommt in der Bevölkerung nicht wirklich an. Das Oligarchen-System wird immer reicher und das Durchschnittseinkommen der Russen sinkt real auf ein Niveau, das noch unterhalb dem der Sowjetzeit liegt.

Das ist Putins großes Problem und das Problem aller Autokraten in den postsowjetischen Republiken. Die russische Kriegspropaganda, die eine große Bereitschaft in der Bevölkerung bewirkt hat, sich mit kriegerischen Mitteln gegen den „Westen“ zu wehren, soll genau diesen Umstand verdrängen, dass Russland ein zweites Mal nach 1989 abgewirtschaftet hat.

Die Bedrohung durch den Westen, ist allerdings erneut die Bedrohung durch einen, nicht tot zu kriegenden Wohlstand, den russische Politiker gern als dekadent bezeichnen, den einfache Russen aber herbeisehnen. Genau das macht die russische Instabilität aus. Die Flucht in ein Bedrohungsszenario, in dem der Westen Russland quasi aushungert, wie Nazideutschland damals St. Petersburg, ist all zu fadenscheinig. Die Russen machen ihr Elend immer noch selbst.

Daran wird auch die neuerliche militärische Konfrontation mit dem Westen nichts ändern. Die Ukrainer würden sich im Falle eines Angriffes durch die russische Armee, mit russisch inszenierter Vorgeschichte, wehren. Es ist zu erwarten, dass die Ukrainer ihre Freiheit nicht mehr hergeben, die sie vor allem im Anschluss an die EU sehen und nicht an das postsowjetische Konstrukt Putins, die „Eurasische Union“.

Welche Ideologie will Putin den wohlstandshungrigen Russen eigentlich anbieten, wenn sie auch nach einer möglichen Verzichtserklärung der Nato, weiter nach Osten vorzurücken, auf ihren Wohlstand warten, der für die Osteuropäer längst selbstverständlich geworden ist?

Die Orthodoxe Kirche? Das natürliche Leben? Die Tradition? Putin und sein Machtzirkel haben dieses Spielfeld längst verlassen müssen, weil es viel zu skurril wurde. Erinnert sich noch einer an Alexander Dugin? Ein Mann am Rande des Wahnsinns, der den alten Geist Russlands beschwor und damit Einfluss auf den Präsidenten gewann. Wie soll man mit den Legenden des neunzehnten Jahrhunderts in der heutigen Welt leben? Das ist schon schwer genug. Aber damit Wohlstand zu generieren, der der ganzen Bevölkerung hilft, ist schlicht unmöglich. Putin hat sich verrannt und ist ideologisch bankrott. Da helfen auch die modernsten Waffen nichts.

Im Grunde müsste Putin seinen Sessel räumen und Russland in das Chaos der Neunziger Jahre zurückschicken, was man diesem Land nicht wünschen möchte. Das Problem ist nur, dass man aus einer Sackgasse nur entkommen kann, wenn man zurückgeht. Konkret bedeutet das in die Zeit vor Putins Präsidentschaft.

Diese Empfehlung klingt böse, beruht aber auf der Feststellung, dass die Russen unter Putin ein vollkommen falsches Selbstbewusstsein aufgebaut haben. Eines, das nicht auf dem Wohlstand beruht, den sie erwirtschaftet haben, sondern auf Großmachtambitionen, für die sie ein unsinniges Bedrohungspotential geschaffen haben. Das zu Erkennen ist schwierig.

Zu einer solchen Selbstverneinung ist natürlich kein Russe fähig und erst recht nicht Putin. Also wäre der andere einigermaßen erfolgsversprechende Weg, einen liberalen und westlich orientierten Präsidenten zu installieren, während er sich selbst eine Veto-Macht in einem Sicherheitsrat sichert. Diesen Weg sollte Putin jetzt gehen und seinem Land wenigstens die Chance geben, in eine liberale Demokratie mit entsprechender wirtschaftlicher Prosperität überzugehen. Wie er das seinen Geheimdienstkollegen erklären will, die eine regelrechte Meritokratie im Land aufgebaut haben, ist sein Problem.

Der Westen wird ihm dabei nicht helfen und wenn er ihm auch die tollsten Raketen vor die Nase hält. Demokratisches Wirtschaften, wenn es Wohlstand erzeugen soll, funktioniert über eine funktionierende Konkurrenz-Kultur und nicht über eine Klan-Kultur, alle Beispiele in der Weltgeschichte belegen das. Putin wird den zweiten Untergang Russlands besiegeln, wenn er das nicht endlich versteht.

spaulsen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.